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Essay Elbphilharmonie

Ein Haus für alle?

Die Eröffnung der Elbphilharmonie ist perfekt – doch das vielbeschworene Ziel Hamburgs, eine Musikstadt zu werden, ist damit noch nicht eingelöst

vonPeter Krause,

Eine Stadt ist berauscht. Sie hat ein neues Wahrzeichen. Berückend schön bricht sich das Sonnenlicht in den unzähligen Glaselementen ihrer Fassade, wellenförmig ragt ihr Dach in den Himmel und weist damit symbolisch vielsagend in die Zukunft: Über einem einstigen Kaispeicher der Hafen- und Handels-Metropole erhebt sich die Elbphilharmonie als Architektur gewordene Vision dafür, dass die Hansestadt Hamburg mehr sein muss als Umschlagplatz von Waren aus aller Herren Länder, die gleich gegenüber auf der anderen Elbseite in Containern minutenschnell anlanden und immer noch für die Prosperität der Hanseaten sorgen.

Diese Stadt also soll nun musikalisch werden. Ein wunderbarer Widerspruch. Denn eine Stadt soll ihr Bewusstsein erweitern und sich zur Metropole der Musik entwickeln, die bislang alles andere ist als – eine Musikstadt. Mit der Eröffnung des neuen Konzerthauses wird es also richtig spannend, weil endlich die wirklich wichtigen Fragen nach einer Antwort schreien. Die Generalfrage dabei lautet: Wie lässt sich eine Gesellschaft nachhaltig mit dem Musikvirus infizieren, damit das Hohe Haus am Fluss nicht ein moderner Tempel der spätbürgerlichen Musikkultur bleibt, sondern in der Tat ein Haus für alle? Für Junge und Alte, für vom Zauber richtig guter Musik neu zu Entflammende wie für Schon-immer-Klassik-Begeisterte, für Menschen mit chronisch leerem und für solche mit üppig gefülltem Geldbeutel? Natürlich betonen Politiker an dieser Stelle gern nordisch-wolkig, der Aufbau einer Musikstadt sei jetzt schlichtweg eine self-fulfilling prophecy. Wenn ein Gemeinwesen schon 866 Millionen, davon stolze 798 aus dem städtischen Etat, investiert, um ein Konzerthaus zu bauen, muss es die Musik in absoluter Spitzenqualität doch wenigstens halbwegs kostenneutral dazu geben. Jetzt seien die Künstler am Zug. Ein Irrtum?

Und was fangen wir jetzt mit den zwei Konzertsälen an?

Deutlich weist allerdings mit Daniel Kühnel einer der entscheidenden städtischen Spieler darauf hin, nunmehr die Wahrnehmung auf das wirklich Wesentliche zu lenken. Der Intendant der Symphoniker Hamburg: „Die Elbphilharmonie ist fertig, doch unser aller Arbeit fängt jetzt erst an. Denn Hamburg hat nun nicht nur zwei der besten Konzertsäle der Welt – Hamburg will ja auch Musikstadt sein. Und das bedeutet weit mehr als Immobilien zu besitzen. Ich glaube, eine Musikstadt ist eine Stadt, in der Musik gelebt wird. Von allen und an so vielen Orten wie möglich. Also müssen Politik und Kunstschaffende sagen, was sie mit den beiden tollen Konzerthallen anfangen wollen. Die Antworten müssen aufregend und anders sein. Sie müssen sehr weit über die simple Frage hinausgehen, welche Gastorchester und Gastsolisten in Hamburg auftreten. Die Antworten müssen deutlich machen, was uns die ureigene Musik dieser Stadt im Kern bedeutet – das betrifft alle Orchester und Chöre, Laien und Profis. Sie alle sind ein ganz großes Glück, das man jeden Tag erneut entdecken muss.“ Aber wo steht Hamburg in musikalischer Hinsicht nun wirklich? In der internationalen Wahrnehmung steht sie nirgendwo. Der Slogan, durch den Hafen das „Tor zur Welt“ zu sein, wird durch die Hamburger Pfeffersackmentalität konterkariert: Selbstgenügsamkeit gehört zum guten Ton der Hanseaten, nicht Wandel und Wechsel, nicht Visionen und Aufbruchsgeist. Eine Umfrage der Handelskammer über „Stärken und Schwächen der Musikstadt Hamburg“ ergab unter den wenigen eindeutigen Aktivposten: „Hamburg ist Deutschlands Musicalstandort Nummer eins.“ In der Tat: Der Musical-Markt boomt. Die Vermarktung der Musik aber, so die Studie, sei mangelhaft, neue Vermittlungsformen fehlten.

 

Einkäufe aus New York, Chicago und Wien

Dieses Prinzip Hoffnung ruht immerhin auf drei Säulen: Das flugs in NDR Elbphilharmonie Orchester umbenannte NDR Sinfonieorchester, das unter seinem Gründer Hans Schmidt-Isserstedt und dann erneut unter dem gestrengen Bruckner- und Brahms-Exegeten Günter Wand weit über den deutschen Norden hinaus für Aufhorchen gesorgt hatte, soll unter seinem aktuellen Chefdirigenten Thomas Hengelbrock den Aufbruch in eine neue Zeitrechnung schaffen – primär durch den Motivationsschub, den das akustisch exquisite Zuhause dem Klangkörper verleiht. Immerhin die zweite Geige darf das Philharmonische Staatsorchester spielen. Kent Nagano als aus der Musikstadt München in die Hanse- und Handelsstadt gewechselter Generalmusikdirektor des Traditionsorchesters und der Hamburgischen Staatsoper muss hier für internationale Strahlkraft sorgen. Schließlich kann Christoph Lieben-Seutter als Generalintendant von neuer Elbphilharmonie und altehrwürdiger Laeiszhalle mit Steuer- und Sponsorengeld Stars und Starensembles aus New York, Chicago und Wien einkaufen, die vollends dem Anspruch gerecht werden, den ein Saal zwingend stellt, der zu den zehn besten der Welt gehören soll.

Wie Hamburg wirklich zur Musikstadt werden kann

Aufschlussreich sind die Forderungen und der Maßnahmenkatalog, der – wir befinden uns schließlich in einer Hafenstadt – wohlgemerkt von der Handelskammer und nicht von den Musikschaffenden aufgestellt wurde. Die seitens der Wirtschaft formulierte Vision lautet: „Bis zum Jahr 2025 wird Hamburg für Fachleute, internationale und nationale Touristen und die Hamburger Bevölkerung die relevanteste Musikstadt Deutschlands.“ Interessant ist, wie deutlich die Experten des Erbsenzählens nunmehr dringend anstehende Investitionen in die städtische Musikszene anmahnen, von der die Politik (noch) nichts hören will. Die Elbphilharmonie dürfe nicht das Schicksal der Oper in Sydney erfahren, „die maßgeblich für ihre Architektur und nicht für ihr musikalisches Programm wahrgenommen wird“. Man warnt vor dem Import von musikalischer Prominenz von außen, Haushaltsmittel müssten vielmehr „in die Qualitätsentwicklung der Hamburger Ensembles investiert werden“, um den selbst aufgestellten Anspruch an eine Musikstadt gerecht zu werden. Namentlich „hochklassige Symphoniker in der Laeiszhalle und hochklassige Philharmoniker in der Staatsoper“ seien nun gefragt, um die gestiegenen Erwartungen an die Ensembles einer Musikstadt zu erfüllen. Dazu gelte es den Kulturetat zu erhöhen, da sich selbst die Vergütung des am besten ausgestatteten Klangkörpers des NDR im Vergleich zu anderen großen deutschen Orchestern bis dato lediglich im Mittelfeld bewegt. Symphoniker- Intendant Daniel Kühnel mahnt zwar zunächst nicht mehr Geld an, legt den Finger dennoch in die Wunde, wenn er Wertschätzung für das Residenzorchester der Laeiszhalle einfordert: „Sonst, fürchte ich, droht die Musikstadt-Idee merkwürdig hohl zu werden.“

Die Musikelite kommt nach Hamburg – und geht wieder

Die schnöde Forderung der Handelskammer-Profis nach mehr Geld aber hat am Ende auch mit Menschen zu tun – mit exzellenten jungen Musikern, die angestachelt durch eine Willkommenskultur für Talente in die Stadt kommen müssen, um zuerst neue Subkulturen als Humus der Musikszene fruchtbar zu machen und dann nicht zuletzt Positionen in den drei großen Orchestern zu übernehmen. Erfolgreich ist die Stadt in dieser Hinsicht bislang aber nur im Wegloben, das einst prominent mit dem Hamburger Exilanten Johannes Brahms begann. Zwar bildet Hamburg an der Hochschule für Musik und Theater Spitzennachwuchs aus, nach erfolgreichem Abschluss setzt indes der Brain Drain ein, weil Probenräume, Auftrittsmöglichkeiten und Stipendien für hochbegabte Absolventen Mangelware sind. Es ist an der Zeit, in Hamburg tätige Musikerpersönlichkeiten stärker zu würdigen – und das gilt für die Gegenwart wie für die Vergangenheit, beginnt also damit, die große Musiktradition der Nordmetropole ins Bewusstsein zu bringen: Mit Blick auf Johannes Brahms und die in Hamburg geborenen Geschwister Fanny und Felix Mendelssohn, und mit Bezug auf die Meister, die hier gewirkt haben – mögen sie nun Telemann, Hasse oder Carl Philipp Emanuel Bach, Mahler, Schnittke oder Ligeti heißen, folgert die Handelskammer: „Keine andere Stadt kann auf ein vergleichbares Erbe verweisen“. Nur niemand in dieser Stadt verweist wirklich darauf. Durch bürgerschaftliches Engagement und mit homöopathischer städtischer Unterstützung entsteht im KomponistenQuartier derzeit eine Museumsmeile mit Gedenkorten der wichtigsten Hamburger Komponisten – eines der wenigen Beispiele, das der imposant emporragenden Elbphilharmonie derzeit eine sinnstiftende Bodenhaftung verleiht. Anders als im akustisch schlechten, aber in jeder Hinsicht durchlässigen Münchner Konzertsaal und Kulturzentrum Gasteig gibt es in der Elbphilharmonie keine öffentliche Bibliothek und keine Räume der Musikhochschule, damit keine täglich bei freiem Eintritt stattfindenden Konzerte für alle und keine genuine Anbindung an das im besten Sinne alltägliche Musikleben der Stadt. Ohne Humus wächst nichts Neues. Auf- und anregend müsste es sein, zeitgenössische Komponisten wirklich an Hamburg zu binden und echte Residenzen von Zukunftsmusikern zu schaffen. Begeisternd wäre es, in der Elbphilharmonie ein internationales Festival der besten Jugendorchester zu beheimateten.

Generationenprojekt oder Schmuckstück der Politik?

Elbphilharmonie und SpeicherstadtWenn mit der Eröffnung der Elbphilharmonie der eigentliche Bau der Musikstadt also erst beginnt, weil nach der Vollendung der Hardware nun endlich die Entwicklung und Verfeinerung der Software ansteht, kommt der musikalischen Bildung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene eine zentrale Bedeutung zu. Die von concerti in Auftrag gegebene Studie hat eindrucksvoll bewiesen, dass regelmäßiger Klassikkonsum direkt mit dem früheren Erlernen eines Instruments korreliert. Und in der bereits vor zehn Jahren gestarteten concerti-Kolumne „Mit der Elbphilharmonie auf dem Weg zur Musikmetropole?“ stellte Michael Göring, der Vorstandsvorsitzende der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, fest: „Kultur ist das Produkt von Leidenschaft und Kontinuität, sie kann nicht einfach herbeibeschlossen oder eingekauft werden.“ Der Autor dieses Textes ergänzte seinerzeit in seinem Beitrag: „Die wahre Musikstadt ist ein Projekt von Generationen und kein Schmuckstück der Tagespolitik.“

Karin von Welck, die als einstige Kultursenatorin der Hansestadt die Planung der Elbphilharmonie im Senat von Bürgermeister Ole von Beust entscheidend geprägt hat, sieht Hamburg derzeit bereits auf einem guten Weg zur Musikstadt, hebt besonders die vielen Musikvermittlungsprojekte und das bislang Erreichte hervor: „Nach meinem Eindruck ist der Gedanke, dass Musik in all ihren Ausprägungen unverzichtbar und inspirierend für Hamburg und seine Bevölkerung ist, mittlerweile so fest in der Stadt verwurzelt, dass er auch vom jetzigen Senat gepflegt und vor allem auch von den Bürgern gelebt und weiterentwickelt wird. Dass der Bund zudem die Symphoniker Hamburg in sein Fünf-Jahres-Programm zur Förderung der ‚Exzellenten Orchesterlandschaft Deutschlands‘ oder das Reeperbahnfestival in das Programm ‚Leuchttürme Musik‘ aufgenommen hat, ist für mich ein Zeichen dafür, dass die Entwicklungen in Hamburg auch überregional wahrgenommen werden.“

Verfall der „geistigen Hafenarbeiterkantine”

Wenn die Elbphilharmonie ein äußerst ansehnliches Apfelbäumchen mit jetzt schon vielen köstlich schmeckenden Früchten ist, dann muss in ihrem Schatten freilich eine noch viel stärkere musikalische Graswurzelbewegung entstehen, die dem Hohen Haus an der Elbe seinen quasi aristokratischen Nimbus der Abgehobenheit nimmt und es niedrigschwellig, barrierefrei und integrativ macht. Denn ein demokratisch legitimiertes Gebäude ist die Elbphilharmonie mitnichten – allen Beteuerungen des Bürgermeisters Olaf Scholz zum Trotz. Eine Mehrheit der Hamburger hätte die Entscheidung für den Bau niemals erhalten. Also muss jetzt – lieber spät als nie – die Demokratisierung einer Stein, Beton, Glas und Holz gewordenen Vision einsetzen. Und sich dabei womöglich zurückbesinnen auf die Gedanken der Urheber der Vision – Jana Marko und Alexander Gérard.

Die Kunsthistorikerin sowie der Architekt und Projektentwickler hatten nicht nur die kühne Idee zum Bau eines stolzen Konzerthauses an der Elbe, das Paar prägte auch den Begriff der „geistigen Hafenarbeiterkantine“. Tief unter dem Neubau, im Bauch des darunterliegenden historischen Kaispeichers, sollte ein Milieu geschaffen werden, das gänzlich unrepräsentativ und antibürgerlich Zugänge öffnen sollte. Jana Marko erinnert an diese Idee: „In Ergänzung des von der Stadt subventionierten Programmes in den neuen Konzertsälen sollte dort ein Raum für die Off-Szene geschaffen werden, damit die Elbphilharmonie wirklich ein ‚Haus für alle‘ werden könnte, eingedenk auch der Tatsache, dass ein zukunftsträchtiges kulturelles Milieu beides braucht: den Humus einer lebendigen, widersprüchlichen Off-Szene (in der nach unserer Vorstellung auch Fragen nach dem Zusammenhang von Musik und Raum/ Architektur und anderen musikverwandten Themen diskursiv nachgegangen werden sollten) sowie den Tempel der ausgereiften ‚Hochkultur‘ in all ihren vielfarbigen Ausformungen.“ Kulturökonomisch bestechend weitsichtig war auch dabei die Vision der beiden Erfinder der Elbphilharmonie: Das Programm der Off-Szene wollten sie direkt aus den Erträgen der Film- und Fotorechte der Elbphilharmonie, die in eine eigens dafür geschaffene Stiftung fließen sollten, finanzieren.

Wahrzeichen – und wahres Zeichen

Dieser Aspekt von Jana Markos und Alexander Gérards Generalplan wurden bald abgewürgt, im Nachhinein muss er nun, womöglich auf ganz andere Weise, in die Tat umgesetzt werden: Damit sich die Aneignung der Menschen ereignet und die damit einhergehende Demokratisierung einer einsamen Entscheidung zum Bau eines Wahrzeichens, das hoffentlich bald mehr sein wird – ein wahres Zeichen für eine Musikstadt im Bau. Ein solcher Bau aber – mit viel fruchtbarem Anbau von Geist, von Bewusstsein, von feinfühliger Wahrnehmung künstlerisch komplexer und gerade darin schöner Inhalte in einer vom Populismus geprägten Zeit – wäre dann wirklich ein grandioses gesellschaftliches Projekt und dabei vor allem eines: berauschend.

Die Elbphilharmonie ist fertig

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