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Highlights der Saison 2022/2023 – Bayern

Umbruchstimmung in den Spielplänen

Michael Atzinger, Autor und Moderator bei BR-Klassik, stellt seine persönlichen Highlights der kommenden Saison in Bayern vor.

vonMichael Atzinger,

Ende des Krisenmodus, volle Häuser und ein normaler Spielbetrieb – nach über zwei Jahren Pandemie und einem halben Jahr Krieg in Europa stirbt die Hoffnung zuletzt in den bayerischen Musiktheatern. Doch vielerorts haben sich die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in die Programme der neuen Spielzeit eingegraben.

„Der Krieg ist wie die Liebe, er findet immer einen Weg“ – mit diesem Wort von Bertolt Brecht schlägt die Bayerische Staatsoper in ihren Neuinszenierungen einen großen Bogen von Purcells „Dido and Aeneas“ über Prokofjews „Krieg und Frieden“ bis hin zu Verdis „Aida“. Und setzt noch eins drauf mit einem luxuriös besetzten „Lohengrin“, in dem Anfang Dezember einer der interessantesten Dirigenten unserer Zeit die beiden Liebenden Marlis Petersen und Klaus Florian Vogt ins Brautgemach begleiten wird: der französische Originalklang-Zauberer François-Xavier Roth. Barockentwöhnte Opernfans fiebern schon jetzt dem Oratorium „Semele“ von Händel entgegen, in dem der polnische Countertenor Jakub Józef Orliński als Athamas sein Staatsoperndebüt geben wird. Premiere ist am 15. Juli bei den Münchner Opernfestspielen 2023.

Zu Gast an der Staatsoper in München: François-Xavier Roth
Zu Gast an der Staatsoper in München: François-Xavier Roth

„Der Mensch braucht Auszeiten“

Ein starkes Statement zum Thema „Krieg und Pandemie“ findet sich in der Saison-Broschüre des Landestheaters Niederbayern: „Schon immer wollten wir“, so schreibt Intendant Stefan Tilch, „durch unsere Arbeit die Welt ein wenig verbessern. Was wir früher als ‚Eskapismus‘ scharf verurteilten – fast schon böswilliges Verschließen der Augen vor einer grausamen Wirklichkeit – erscheint uns heute als blanke Notwendigkeit. Der Mensch braucht Auszeiten.“ Kommen Sie mit zu erstklassigem Musiktheater in Passau, Landshut oder Straubing – und sei es, um sich mit dem Krieg auf musikalischer Ebene auseinanderzusetzen: mit Händels lustvollem Kreuzritter-Epos „Rinaldo“ und Verdis unglückseliger Familien-Fabel „Die Macht des Schicksals“ mit einer der schönsten Friedens­arien der Opernliteratur. Verdi ist (als Wiederaufnahme) ab Ende September in Passau und Landshut zu sehen, „Rinaldo“ hat seine Passauer Premiere am 10. Dezember und wandert ab Januar auch in die anderen beiden Häuser. Die musikalische Leitung hat die exzellente Maestra vom Opernfestival Immling, Cornelia von Kerssenbrock.

Bewundernswert ist der Mut der kleineren Musiktheater, sich den einen oder anderen Brocken aus Wagners „Ring“-Tetralogie vorzunehmen: Das Landestheater Niederbayern stemmt gar „Siegfried“ (ab Ende November) und „Götterdämmerung“ (ab Ende April) im Doppelpack – und am Landestheater Coburg hat am 12. März „Siegfried“ Premiere. Am Pult steht der Wagner-­erprobte Generalmusikdirektor des Hauses, Daniel Carter. Er leitet im Oktober auch schon die Wiederaufnahme der „Walküre“. Oder wie wär’s, ebenfalls in Coburg, mit dem urdeutschen Faust, in einer Deutung à la française? Die dramatische Legende „Fausts Verdammnis“ von Hector Berlioz zeigt Goethes Antihelden als einsamen Melancholiker. Zu erleben ist das suggestive Stück ab dem 24. September im besonderen Ambiente der Coburger Morizkirche.

Am Landestheater Coburg feiert im März Wagners „Siegfried“ Premiere
Am Landestheater Coburg feiert im März Wagners „Siegfried“ Premiere

Auch eine Premiere am Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz beweist, dass die schönsten Vertonungen deutscher Literatur aus Frankreich kommen: „Werther“ von Jules Massenet ist ein herzzerreißendes Meisterwerk – wenn man es nicht durch Überzuckerung zum Rührstück verkommen lässt. Dirigent Anthony Bramall wird achtgeben ab dem 16. Februar. „Noethe wegen Goethe“ steht in treffender Kurzversion über dieser Produktion. Und wenn Sie irgendwo „Party im Puff“ lesen, sind Sie ebenfalls richtig: Das ist komprimiert die Geschichte von Strawinskys Oper „The Rake’s Progress“ – diese englische Faust-Biografie steht ab dem 7. Oktober auf dem Gärtnerplatz-Programm. Am 11. Oktober nimmt die fabelhafte Balletttruppe des Hauses ihre atemberaubende Version des „Sturms“ nach Shakespeare wieder auf.

In den fünfzehn Jahren seines Bestehens hat das Ballett des Staatstheaters Nürnberg unter Goyo Montero den zeitgenössischen Tanz auf die europäische Spitze getrieben. Das wird gefeiert – unter anderem kurz vor Weihnachten mit dem Orchesterballett „Goldberg“. Mit seinen „Goldberg-Variationen“ sollte Johann Sebastian Bach seinem Auftraggeber und Widmungsträger zu einem besseren Schlaf verhelfen – und Goyo Montero erforscht mit seinem neuen Tanzstück diese Welt zwischen Wachen, Schlafen und Träumen. Anton Rubinsteins Oper „Der Dämon“ wurde vor 25 Jahren bei den Bregenzer Festspielen begeistert zur Kenntnis genommen. Nürnberg wagt am 24. Juni eine Neudeutung dieser klanggewaltigen Erzählung um Erlösung und wahre Liebe.

Vollendet 2023 sein fünfzehntes Jahr als Ballettchef in Nürnberg: Goyo Montero
Vollendet 2023 sein fünfzehntes Jahr als Ballettchef in Nürnberg: Goyo Montero

Oper mit zehn Hauptrollen in Augsburg

Das Staatstheater Augsburg macht einen Ausflug in die französische Provinz: Gioachino Rossinis Oper „Die Reise nach Reims“ ist eines der herrlichsten Stücke, die je geschrieben wurden. Die Welt strömt zur Krönung des Königs nach Reims – und strandet im Hotel. Zehn Hauptrollen, ein Arien-Feuerwerk, hinreißende Ensembles. Es inszeniert die Rossini-Virtuosin Stefania Bonfadelli, die vor einigen Jahren zur Regie gewechselt ist. „Il viaggio a Reims“ – ab dem 3. Dezember im Theater im martini Park.

Dass die Sopranistin Angela Denoke das Regiehandwerk beherrscht, hat sie im vergangenen Jahr mit ihrer brillanten „Salome“ in Innsbruck bewiesen. Am 21. Januar stellt sie in Regensburg ihre Interpretation von Verdis Königsmord-Drama „Macbeth“ zur Diskussion.

Auch als Regisseurin gefragt: Sopranistin Angela Denoke
Auch als Regisseurin gefragt: Sopranistin Angela Denoke

Mit seinem Spielzeitmotto „Riss durch die Welt“ nimmt das Mainfrankentheater Würzburg die politische Gegenwart in den Blick und legt mit Mozarts „Clemenza di Tito“ einen Gegenentwurf zu den Despoten dieser Welt vor: den römischen Kaiser Titus.

Im Theater Hof gibt man sich „verliebt, verrückt, verzaubert“ und erzählt von unstillbarer Sehnsucht, enttäuschter Liebe und satter Selbstzufriedenheit. Und man erinnert an die Gräuel der Naziherrschaft. In der Reihe „Wider das Vergessen“ wird die Oper „Helena Citrónova“ gezeigt, die eine verbotene Liebe in Auschwitz verhandelt. Uraufführung war 2020 – das Theater Hof hat sich die exklusiven Rechte für Europa gesichert. Am 29. Oktober ist Premiere.

Wir sehen uns im Theater!

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