„Schon Störtebeker wusste, dass der Norden rockt …“, rappt Fettes Brot aus Hamburg. Davon profitieren auch Klassik- und Opernliebhaber in der Hansestadt, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, denn ein inspirierendes musikalisches Angebot wartet in der Spielzeit 2022/23 auf alle Nordlichter.
Beginnen wir in Hamburg. Das Programm der Elbphilharmonie und Laeiszhalle bewegt sich stets im Einklang mit dem Anspruch, ein Haus für alle zu sein und neue Akzente zu setzen, die über Hamburg hinaus Strahlkraft entwickeln. Diesmal lädt uns Intendant Christoph Lieben-Seutter zu einem Blick über den eurozentristischen Tellerrand ein. „Afrofuturism“ präsentiert zum Saisonstart afroamerikanische Künstler diverser musikalischer Genres von Ravi Coltrane bis zum Sun Ra Arkestra. Zusätzlich wird Angelique Kidjo die diesjährige „Reflektor“-Woche kuratieren. Ihr überwiegend weiblich geprägtes Programm gipfelt im Konzert mit ihren African Women All-Stars (9. bis 12. März). Weitere transkontinentale Anregungen gibt es beim Sufi-Festival im November und das ganz Jahr über in zwei etablierten Reihen: „Klassik der Welt“ und „Weltmusik“.
Zusammen mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester hat das Haus ein kleines Festival für Musik des 21. Jahrhunderts ins Leben gerufen. Die Biennale „Visions“ ist eine Initiative des Chefdirigenten Alan Gilbert. Hier finden Werke von Lisa Streich, Anna Thorvaldsdottir, Esa-Pekka-Salonen oder John Adams eine Plattform und Interpreten wie Iveta Apkalna, Alan Gilbert und Leila Josefowicz ihre erstklassigen Vermittler.
Ein Fest für das 20. und 21. Jahrhundert
„Seinen“ Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts, György Ligeti, würdigt Hamburg mit einem Konzert im März 2023. Ligeti, der lange in Hamburg an der Hochschule für Musik und Theater Komposition lehrte, würde dann nämlich seinen 100. Geburtstag feiern. Das NDR Elbphilharmonie Orchester spielt unter anderem „Atmosphères“ und „Lontano“, vielleicht seine berühmtesten Werke, die in Stanley Kubricks Filmen zu populären Ehren kamen. Keinesfalls verpassen sollte man es, wenn der Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša, bereits am 17. Januar Ligetis „Poème symphonique für 100 Metronome“ zu Gehör bringt.
Die Spielzeit des ensemble resonanz liest sich aufregend wie stets, und man wagt kaum, etwas herauszugreifen. In ihrer Bunker-Location im Szene-Stadtteil St. Pauli oder in der Laeiszhalle erlebt man Monat für Monat die Klassik neu. Ein besonderes Erlebnis wird indes das Projekt zweier Klassik-Heldinnen, das sich der Marien-Verehrung verschrieben hat. Patricia Kopatchinskaja und Anna Prohaska haben für „Maria mater meretrix“ Werke von Hildegard von Bingen, Joseph Haydn, György Ligeti u. a. zu einem musikalischen Mosaik verbunden (18. April 2023).
Die Symphoniker Hamburg starten ihre Spielzeit im September fulminant mit einer szenischen Einrichtung von Strawinskys skandal-trächtiger Ballettmusik „Le Sacre du printemps“ durch Regie-Legende Christoph Marthaler (27. September). Und: In der fünften Saison mit Sylvain Cambreling als Chefdirigenten hat man sich Verstärkung geholt. Mit Han-Na Chang wurde eine vielversprechende Erste Gastdirigentin engagiert.
Hamburg hat bekanntlich viele Opernbühnen. Neben der Kammeroper Hamburg an der Max-Brauer-Allee sowie dem Opernloft an der Elbe wartet die Staatsoper am Gänsemarkt mit einem bunten Premieren-Reigen auf. Dass Intendant Georges Delnon und GMD Kent Nagano eine Sciarrino-Oper wagen („Venere e Adone“, Premiere am 28. Mai 2023), ist mindestens so interessant wie die Premiere von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ um die Film-affine Regisseurin Angelina Nikonova am 22. Januar.
Noch ein großes Jubiläum erwartet die Hansestadt: Das Hamburg Ballett feiert fünfzig Jahre seines Bestehens. John Neumeier hat mit den eindrücklichen Choreografien zur Musik von den größten Komponisten der letzten Jahrhunderte Tanzgeschichte geschrieben – und Hamburg stets die Treue gehalten. Anlässlich dieses Jubiläums ist im Dezember die Premiere des Balletts „Dona Nobis Pacem“ nach Musik von Johann Sebastian Bach geplant.
Die Festivalzeit ruft
Hat man die Jahreswende hinter sich, kommt die Festivalzeit mit großen Schritten auf die Musikbegeisterten zu. Eines der ersten Festivals ist das Internationale Musikfest Hamburg, das am 28. April eröffnet wird und unter dem Motto „Liebe“ steht. Im Sommer locken das Schleswig-Holstein Musik Festival und die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern an die malerischen Spielorte in Stadt und Land – womit wir in zwei weiteren Bundesländern wären, in denen uns viel Musik erwartet.
Die Rostocker, die im Konzertwesen mit „Rostock BRAHMSt! – Eine Stadt musiziert“ auf Romantik setzen, haben auf der Bühne Leichtfüßiges und Ernstes im Programm. Mit Operetten und Musicals („Meine Schwester und ich“, „Cabaret“) sowie mit der Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ des deutschen Komponisten Otto Nicolai ist Unterhaltung angesagt. Das Projekt „Gesänge aus der Gefangenschaft” in Kooperation mit der Dokumentations- und -Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaft der Staatssicherheit Rostock widmet sich einem eher dunklen Kapitel der Stadt.
Auch das Mecklenburgisches Landestheater Schwerin setzt sich mit der Geschichte der DDR auseinander, wenn es im Januar das Musical „Der geteilte Himmel“ nach dem Roman von Christa Wolf aus der Taufe hebt.
Wenn Nordlichter andere Nordlichter feiern wird es leidenschaftlich. Anders kann man es sich nicht vorstellen beim 4. Philharmonischen Konzert der Kieler Philharmoniker am 29. Januar in der Wunderino Arena. „Sounds of Suomi“ stellt finnische Komponisten von Sibelius bis Saariaho vor. Die junge Finnin Emilia Hoving dirigiert. Eine aufsehenerregende Produktion verspricht der Ballettabend von Yaroslav Ivanenko am Theater Kiel zu werden (11. November), denn sein „Labyrinth der Träume” wird Igor Strawinskys Musik in ein surreales, von den Bildern Salvador Dalís inspiriertes Licht tauchen. Opera-Lovers bekommen übrigens am Theater Lübeck eine zweite Chance, die Rarität „Die Liebe der drei Könige – L’amore dei tre re” von Italo Montemezzi zu sehen.