Wenn nicht gerade Hochsaison auf den mitteldeutschen Bühnen ist, lockt immer der Gang ins Freie – zur Erholung, Erbauung und Schärfung der ästhetischen Sinne. Ob Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn Bartholdy oder Richard Wagner: Man könnte noch viele Tonmaler aufzählen, die sich von hiesigen Naturschönheiten Inspiration für ihre neuesten Werke suchten. Doch gerade hier, zwei Steinwürfe von Wagners Sommersitz Graupa entfernt, brennt es im sommerlichen Nationalpark Sächsische Schweiz: Die Rauchschwaden ziehen bei ungünstigem Wind von Caspar David Friedrichs Nebelmeer bis in die touristenerstickten Dresdner Gassen hinein, und selbst ministeriale Besuche können die Glutnester nicht aufhalten. Helft löschen! – Das möchte man rufen, doch an Fachpersonal fehlt es nicht, eher an Sensibilität für die Schönheit und Verletzlichkeit der Natur.
Symptome waren schon immer leichter zu bekämpfen als Ursachen. Daher hat es eine bittere Ironie, dass ausgerechnet hier, wo sich Weber zur Wolfsschlucht seines „Freischütz“ anregen ließ, die Felsenbühne Rathen mit der Naturgewaltenoper schlechthin wieder eröffnet: dem „Fliegenden Holländer“ des Anrainers Wagner. Nach drei Jahren umfassender Sanierung wird das traumhaft-schaurige Naturtheater damit weiterhin von den Landesbühnen Sachsen bespielt und gehört seit 1936 zu den Urzellen heutiger Open-Air-Spektakel. Trotz Waldbetretungsverbots soll die Freiluftsaison wie geplant starten, heißt es, und umso drohender dürften die sagenhaften Felsformationen das Publikum an ihren Schutz gemahnen.
Auch dreihundert Kilometer elbabwärts nimmt sich das Theater Magdeburg wenige Tage später der in Töne gegossenen Warnfunktionen der Natur an: Nikolai Rimski-Korsakows Opernrarität „Der goldene Hahn“ will zwar ein satirisches Märchen des Revolutionsjahres 1905 sein, aber der pantheistisch denkende Komponist hat in seiner letzten Oper nicht umsonst seinen früheren Huldigungen der mystifizierten Natur ein gewiss auch ein wenig selbstironisches Denkmal gesetzt. Denn dass ausgerechnet ein von Trompetenklängen charakterisiertes Federvieh einen korrupten Herrscher zu Tode pickt, liegt jenseits des Zufalls.
Uraufführung mit 170-jähriger Verspätung
Dass sich Menschen lieber mit Einfluss und Macht übereinander befassen, zeigt sich schon in der biblischen Geschichte: Weil sie ihm nicht mehr folgen will, reißt Samson seine Gefolgschaft mit in den Tod. Zwischen Händels berühmtem Oratorium und Saint-Saëns’ Opernfassung des Dramas versuchte sich auch der nahezu vergessene Schweizer Komponist Joseph Joachim Raff an seinem Samson, brachte ihn jedoch in seiner Wahlheimat Weimar, wohin er seinem Idol Franz Liszt gefolgt war, nie auf die Bühne. Das Deutsche Nationaltheater holt diese Uraufführung nun auf Initiative ihres genialen Chefdirigenten Dominik Beykirch nach 170 Jahren nach, und wenn Calixto Bieito inszeniert, darf man sich auf eine besondere Ausgrabung freuen.
Immerhin in Salzburg uraufgeführt, aber doch kaum bekannt ist auch Gottfried von Einems Oper „Dantons Tod“, die das Theater Altenburg-Gera Mitte September in der Inszenierung von Intendant Kay Kuntze herausbringt. 1947 als Abrechnung mit den faschistischen Machthabern konzipiert, bezieht sich das Stück auf Georg Büchners Erstlingsdrama als Porträt eines desillusionierten Revolutionärs, der auf dem Schafott endet. Besonders eindrucksvoll geraten in seinem Werk die riesigen Chorszenen, mit denen der noch junge Österreicher die Verführbarkeit der Massen in eine exzessive Gewaltspirale porträtiert.
Nur einen Tag später lässt sich im beschaulichen Annaberg-Buchholz eine weitaus vergnüglichere Rarität bestaunen, wo das winzige Eduard-von-Winterstein-Theater mit dem Shakespeare-Klassiker „Falstaff“ eine Vertonung zur deutschen Erstaufführung bringt, die bereits fünfzig Jahre vor Verdis Kassenhit entstand: Der Ire Michael William Balfe war zu seiner Zeit ein durchaus bekannter Komponist und Protegé Rossinis, dem er den Hang zu schwelgerischen Belcanto-Linien verdankte. Ob sich Balfes Werk von 1838 nun mit dem Œuvre seiner Zeitgenossen messen kann, darf man im Erzgebirge herausfinden und nur wenige Wochen später sowohl in Freiberg wie auch an der Staatsoperette Dresden, wo im Oktober Otto Nicolais „Lustige Weiber von Windsor“ nach dem gleichen Sujet herauskommen – vielleicht eines der köstlichsten Spottspiele der Opernliteratur.
Ohnehin scheinen unstete Zeiten mit täglich neuen Horrormeldungen eskapistisches Streben zu locken; Kriege, Katastrophen und Krisen wecken nicht nur die Lust auf Komödien, sondern auch auf Märchen mit humanistischer Botschaft. Ob daher nun in Görlitz, Dessau und Annaberg-Buchholz Mozarts „Zauberflöte“ herauskommt, in Chemnitz Janáčeks „Schlaues Füchslein“, in Zwickau Dvořáks „Rusalka“ oder in Leipzig Albert Lortzings selten gespieltes Schwesternwerk „Undine“: Der Herbst wird zauberhaft, noch bevor Humperdincks Knusperhexe in Gera auf ihren Besen steigt, um Hänsel und Gretel Angst zu machen.
Obwohl dieser Klassiker der Märchenopernliteratur zur Kirmeszeit spielt, steht er meist im Advent auch an anderen Bühnen auf den Spielplänen und ist einfach nicht totzukriegen – zu stark ist die Musik, zu erleichternd der Sieg des Guten über das Böse, zu verlockend die Erlösung. Die Freude darüber rekurriert natürlich auf den christlichen Hintergrund des Stücks, der sich hartnäckig gegen die Plätzchen-Glühwein-Konsum-Dudelei behauptet.
Auch die Kirchenmusik feiert in dieser Zeit einen ihrer Höhepunkte, und am innigsten und feierlichsten zugleich beeindrucken die reinen Stimmen der großen Knabenchöre bei Bachs „Weihnachtsoratorium“, das in der Leipziger Thomaskirche ebenso wie in der Dresdner Kreuzkirche erklingt. Sowohl Thomaner als auch Kruzianer haben jeweils einen neuen Kantor bekommen, so dass man sich auf deren Neuinterpretationen nach Jahren des künstlerischen Stillstands besonders freuen darf.
Zu tun haben sie dann während der Feiertage auch noch genug, die Möglichkeiten der Erbauung sind also vielfältig. Die Frage ist nur, ob der musikalische Horizont bis Ende Dezember nicht schon zu weit aufgezogen ist, wenn man sich vergegenwärtigt, dass weder Viren noch Energielieferanten so berechenbar sind, als dass man sicher sein dürfte, Live-Musik auch wirklich genießen zu dürfen oder sich leisten zu können. Doch gerade in unsicheren Zeiten, in denen es an jeder Weltenecke brennt und nicht nur im Wald, kann uns doch gerade die Kultur einen beständig funkelnden Hoffnungsträger erhalten, der über fast jede Ungemach hinwegzuhelfen vermag: die Zuversicht.
Terminübersicht über die Highlights der Saison 2022/2023 in Mitteldeutschland:
Do., 20. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor
Christian Garbosnik (Leitung), Noa Naamat (Regie)
Fr., 21. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor
Christian Garbosnik (Leitung), Noa Naamat (Regie)
So., 20. April 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor
Christian Garbosnik (Leitung), Noa Naamat (Regie)
Mo., 21. April 2025 15:00 Uhr
Musiktheater
Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor
Christian Garbosnik (Leitung), Noa Naamat (Regie)
Mo., 21. April 2025 16:00 Uhr
Tanztheater
Humperdinck: Hänsel und Gretel
Ivon Mateljan (Hänsel), Miriam Zubieta/Julia Gromball (Gretel), Thomas Wicklein (Leitung), Kay Kuntze (Regie)
Mi., 14. Mai 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor
Christian Garbosnik (Leitung), Noa Naamat (Regie)
Termintipp
So., 18. Mai 2025 17:00 Uhr
Musiktheater
Lortzing: Undine
Olena Tokar (Bertalda), Yura Yang (Leitung), Tilmann Köhler (Regie)
Do., 22. Mai 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor
Christian Garbosnik (Leitung), Noa Naamat (Regie)
Termintipp
Fr., 23. Mai 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Lortzing: Undine
Olena Tokar (Bertalda), Yura Yang (Leitung), Tilmann Köhler (Regie)
Termintipp
So., 08. Juni 2025 17:00 Uhr
Musiktheater
Lortzing: Undine
Olena Tokar (Bertalda), Yura Yang (Leitung), Tilmann Köhler (Regie)