Es ist schon ein verrücktes Unternehmen: Das Staatstheater Braunschweig hat sich für die neue Saison die „Ausweitung des Ringgebiets“ vorgenommen. Dabei ist die Tetralogie von Richard Wagner, auf die man sich dabei bezieht, doch wirklich umfangreich genug: Gut fünfzehn Stunden dauert es, bis „Der Ring des Nibelungen“ vom feucht-fröhlichen Beginn auf dem Grund des Rheins zum Weltenbrand mit Hochwasser eskaliert.
Immerhin gibt es in Braunschweig viel Erfahrung mit dem Mammutwerk: Schon 1878, zwei Jahre nach der Uraufführung in Bayreuth, stand der Zyklus hier zum ersten Mal auf dem Spielplan. Seither gab es im Schnitt alle zwei Jahrzehnte eine neue Produktion, zuletzt 2001. Es ist also Zeit für einen neuen „Ring“, und vielleicht ist die Zeit auch reif für neue Wege.
Die geht man in Braunschweig, indem man nur „Das Rheingold“ und „Götterdämmerung“ in der gewohnten Form zeigt. Die „Walküre“ dagegen ist ein neues Schauspiel von Caren Jeß, „Siegfried“ ein Tanztheaterstück, für das der wunderbare Komponist Steffen Schleiermacher die Musik geschrieben hat. Dazu gibt es ein Begleitprogramm, das auch damit spielt, dass das „Westliche Ringgebiet“ und das „Östliche Ringgebiet“ zwei sehr unterschiedliche Wohnbezirke der Stadt sind. In Sinfoniekonzerten schließlich werden Teile der „Walküren“-Musik nachgereicht und die Bekanntschaft mit Schleiermacher vertieft.
Wer doch lieber ganz auf das Original setzt, hat bis Anfang Oktober in Oldenburg Gelegenheit dazu. Dort haben Dirigent Hendrik Vestmann und Regisseur Paul Esterhazy vor fünf Jahren damit begonnen, den ersten „Ring“ in der Geschichte des Staatstheaters zu produzieren. Die neue Spielzeit startet jetzt mit zwei zyklischen Aufführungen der vier Stücke. Im März stemmt Vestmann dann noch den „Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Interessant dürfte auch die szenische Version von Mendelssohns Oratorium „Elias“ werden, die Regisseur Anthony Pilavachi sich für Dezember vorgenommen hat.
Nachgeholte, heiß ersehnte Premieren
An der Staatsoper Hannover kann Elisabeth Stöppler zur Saisoneröffnung endlich ihre Version von Boitos „Mefistofele“ zeigen. Die Produktion war schon vor zwei Jahren geplant – damals hat die Regisseurin coronabedingt umdisponiert und kurzfristig eine ebenso pandemietaugliche wie großartige Händel-Überschreibung aus dem Hut gezaubert. Mehrfach angekündigt waren auch die Aufführungen von John Adams’ Zeitoper „Nixon in China“, die jetzt zum Spielzeitfinale geplant sind. Dazwischen locken Rimski-Korsakows „Märchen vom Zaren Saltan“, „Die Zirkusprinzessin“ von Emmerich Kálmán und (schon wieder) eine neue „Rusalka“: Tatjana Gürbaca wird sich dabei mit Altmeister Dietrich Hilsdorf messen, der die Dvořák-Oper erst 2015 auf die hannoversche Bühne gebracht hat.
Gürbaca arbeitet in dieser Saison auch am Theater Bremen, dem sie seit Langem verbunden ist: Sie inszeniert dort im Juni „Die Krönung der Poppea“. Die Staatsoper Hannover setzt im April mit dem frühen „Orféo“ ebenfalls auf Monteverdi, Regisseurin wird Sylvia Costa sein. Beide Häuser haben externe Barockspezialisten als Orchesterleiter engagiert: In Hannover steht David Bates am Pult, in Bremen dirigiert Christoph Spering.
Bremens Generalsmusikdirektor Marko Letonja präsentiert sich zum Saisonauftakt mit „Don Carlo“ als Operndirigent. Die Kollegen übernehmen dann „Angels in America“, das berührende Aids-Drama von Péter Eötvös (April), Tschaikowskys „Pique Dame“ (Mai) und das voraussichtlich wilde „King Arthur“-Happening des Autors, Sängers und Regisseurs Schorsch Kamerun (Oktober).
Klingende Entdeckungen
In Hildesheim setzt Intendant Oliver Graf sein Prinzip fort, zur Eröffnung einen klassischen Stoff gleich dreifach als Musiktheater, Schauspiel und Ballett zu präsentieren. Diesmal geht es um Hamlet, der die Opernbühne hier in einer Version des Corelli-Schülers Francesco Gasparini betritt. Zu entdecken gibt es im Oktober noch die dann hundert Jahre alte Operette „Die Perlen der Cleopatra“ von Oscar Straus und im Mai das Singspiel „Erwin und Elmire“, das Herzogin Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel 1776 nach einem Goethe-Libretto komponierte. Und in der Friedensstadt Osnabrück erinnert man im Juni mit dem Kriegsdrama „Wallenstein“ an den Komponisten Jaromír Weinberger.
Die Konzertsaison startet schon Ende August mit dem Musikfest Bremen, das Intendant Thomas Albert seit mehr als drei Jahrzehnten mit glücklicher Hand leitet. Die „Große Nachtmusik“ mit opulenter Konzertauswahl rund um den illuminierten Marktplatz ist ein Ereignis für sich, später spielen die Klangzauberer von Anima Eterna Brügge unter Leitung von Pablo Heras-Casado Bruckners Siebte und Fazıl Say präsentiert mit der Deutschen Kammerphilharmonie die Uraufführung seiner fünften Sinfonie.
Pianist und Pianistin aus der hannoverschen Kaderschmiede
Gemeinsam mit ihrem Chef Paavo Järvi und dem Pianisten Lang Lang unternimmt die Kammerphilharmonie einen ihrer seltenen Ausflüge in die Region: Außer in Bremen tritt sie im Oktober auch im hannoverschen Kuppelsaal auf. Pianist Igor Levit ist ebenfalls in beiden Städten zu Gast: Im Dezember (Bremen, Glocke) und im Januar (Hannover, Funkhaus) präsentiert er sein neues Album „Tristan“, unter anderem mit der h-Moll-Sonate von Franz Liszt.
Die italienische Pianistin Beatrica Rana hat wie Levit an der hannoverschen Hochschule studiert und bereits eine beachtliche Karriere gemacht. Jetzt kann man sie in gleich zwei Konzerten auch an ihren Studienort entdecken: Im Dezember gibt sie einen Klavierabend, im März spielt sie mit den Wiener Symphonikern Beethovens viertes Klavierkonzert.
Der NDR startet in dieser Saison eine Charmeoffensive in Niedersachsen mit neuen Konzertreihen seines Vokalensembles und seiner Bigband in Hannover. Bei der ohnehin dort beheimateten NDR Radiophilharmonie verabschiedet sich Chefdirigent Andrew Manze zum Ende der Spielzeit nach neun erfolgreichen Jahren. Vorher gibt es noch besonders viele gemeinsame Konzerte, unter anderem ein Brahms-Festival im März mit den vier Sinfonien, sämtlichen Konzerten und dem „Deutschen Requiem“ mit exquisiter Solistenriege.