Sie seien Neuem gegenüber verschlossen, sagt man den Bayern nach. In einigen Belangen mag das stimmen, seufzt so mancher SPDler angesichts der neun nacheinander regierenden CSU-Ministerpräsidenten der letzten 66 Jahre. Ob ein Parteienwechsel an der Regierungsspitze kommt, ob ein „neuer Wind wehen“ wird, zeigt sich Anfang Oktober nach der Landtagswahl. Naja. In Sachen Kultur verhält sich die Sache schon komplizierter. Da mag man philosophisch fragen: Kann man denn von einer neuen Saison sprechen, wenn die Spielzeiten hierzulande fließend in einen festspiel- und freiluftkonzertdurchtränkten Sommer übergehen („Ach, die laufende Saison ist schon vorbei?“) und dann („Ach, die neue Saison hat schon begonnen?“) der reguläre Spielbetrieb wieder aufgenommen wird?
Die Kammeroper München, die innerhalb der Stadtmauern keinesfalls als Geheimtipp denn vielmehr als feste musikalische Größe gehandelt wird, ist da ein herausragendes Beispiel: Mitten in den unverrückbar späten bayerischen Sommerferien, also im saisonalen Niemandsland-Monat August, bringt das freie Opernensemble Mozarts „Entführung aus dem Serail“ auf die Bühne des Hubertussaals von Schloss Nymphenburg und läutet damit den nahtlosen Übergang zur Spielzeit 23/24 ein. Die letzte Aufführung findet am 17. September statt – da hat die neue Saison längst begonnen.
Eine lange währende Liebesbeziehung
Überhaupt: Bayern und Mozart, das ist eine innige Liebesbeziehung, von der man ganz offensichtlich auch in Hamburg weiß: Der in der Hansestadt verwurzelte Pianist Sebastian Knauer lädt in Augsburg zur elften Ausgabe des kleinen, feinen Festivals mozart@augsburg, das an fünf Abenden mit kammermusikalischen Preziosen sowie großer Sinfonik mit den Bamberger Symphonikern aufwartet. Dass sich Nürnbergs Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz im Frühjahr mit Mozarts „Figaro“ verabschiedete, spricht ebenfalls für die hiesige Mozart-Liebe. Wobei Mallwitz auch mal sagte, dass sie in Bayerns zweitgrößter Stadt gerne mehr Mozartwerke zur Aufführung gebracht hätte.
Landesweit kann man sich allerdings nicht beschweren über eine mangelnde Schlagzahl an Aufführungen Mozart’scher Kompositionen, die in ihrer Gesamtheit auch diesmal wieder ein Glanzlicht des hiesigen Musiklebens darstellen. Noch im Juni ging im Gärtnerplatztheater ein rundum famoser „Figaro“ über die Bühne, so dass man sich schon jetzt auf die Wiederaufnahme im Februar und März freuen darf. Zuvor feiert im Januar „Don Giovanni“ im Nürnberger Staatstheater Premiere, für Interims-GMD Roland Böer die zweite, vielleicht auch erste große Bewährungsprobe, doch dazu später mehr. Natürlich lässt sich Bayerns größtes Opernhaus am Max-Joseph-Platz da nicht lumpen und setzt „Le nozze di Figaro“ als erste Premiere auf den Spielplan.
Dass die Bayerische Staatsoper auch in dieser Spielzeit den Highlight-Kalender diktiert, ist keine Neuigkeit, wobei diesmal die Fallhöhe enorm ist, denn an großen Namen und großen Opern geizt man wahrlich nicht: Kurz vor Weihnachten inszeniert Barrie Kosky die „Fledermaus“ und schraubt damit an der DNA des Opernhauses, denn die Strauss-Operette (an der Staatsoper übrigens noch mit „Strauß“ betitelt, man scheut eben das Neue, siehe oben) hat hier eine große Tradition.
Mit Weinbergs „Passagierin“ geht man wiederum mit der Mode und muss sich hier mit den zahlreichen anderen internationalen Produktionen messen, die in den letzten Jahren das Opernleben aufmischten. Ligetis „Le Grand Macabre“ im Juni kommenden Jahres ist in dreifacher Hinsicht hochspannend, erstens wegen der hoch eigenartigen operesken Opulenz des Stücks, das, zweitens, mit Krzysztof Warlikowski einen hoch eigenartigen Regie-Genius bekommt. Und drittens wird mit Kent Nagano, der als Wahl-Hamburger die Oper eines Wahl-Hamburgers dirigiert, der erst vielgescholtene und zuletzt auf Händen getragene Ex-Generalmusikdirektor und Vor-Vorgänger von Vladimir Jurowski an seine einstige Wirkungsstätte zurückkehren.
Willkommen in Bayern!
Und dann sind da noch die mit Spannung erwarteten „Neuen“. Bei Simon Rattle von Vorschusslorbeeren zu sprechen mag zu kurz gegriffen sein: Die Lorbeeren hat sich der neue Chefdirigent von BR-Symphonieorchester und BR-Chor schon längst erarbeitet, etwa mit den fulminanten konzertanten Aufführungen der ersten beiden „Ring“-Opern von Richard Wagner oder – noch besser – mit Mahlers Neunter und dem „Lied von der Erde“. Beide sind auch als Einspielung nachzuhören, und ja: Da reiht sich jemand würdig ein in die vom BRSO so gepflegte Mahler-Tradition von Eugen Jochum und Rafael Kubelík über Lorin Maazel bis hin zu Mariss Jansons. In diesem Sinne: Am 28., 29. und 30.9. hat man die Chance, Rattle mit Mahlers Sechster im HP8 zu erleben. Oder man fährt halt nach Paris (3.10.), Wien (17.3.), Frankfurt (21.4.) oder Köln (22.4.), wo das BRSO dieses Werk als Tourneeorchester zur Aufführung bringen wird. Man sieht: Der neue Chefdirigent meint es ernst mit Mahler.
Und da wir gerade dabei sind: Mahlers achte Sinfonie ist kurze Zeit später Anfang Oktober im Münchner Nationaltheater zu erleben mit einer Besetzung zum Niederknien: Rachel Willis-Sørensen, Johanni van Oostrum, Jasmin Delfs, Jennifer Johnston, Okka von der Damerau, Benjamin Bruns, Christoph Pohl und Georg Zeppenfeld sind die Solisten. Es spielt das Bayerische Staatsorchester, das noch mit vielen weiteren Konzerten in den kommenden Monaten seinen 500. Geburtstag feiert, am Pult steht diesmal Kirill Petrenko. Man merkt: Die Staatsoper hat einen angenehm unverkrampften Umgang mit ihren Verflossenen, siehe Kent Nagano weiter oben im Text. Mit dabei ist auch der Tölzer Knabenchor, womit wir beim nächsten Highlight der Kategorie „Die Neuen“ sind, nämlich dem von der Bayerischen Staatsoper in verdächtig lauter Verschwiegenheit geschassten langjährigen Chorleiter Stellario Fagone. Der lenkt nun die Geschicke des Tölzer Knabenchors. Wie bei kulturellen Aushängeschildern üblich, ist auch dieses Ensemble gefühlt öfter außerhalb der bayerischen Grenzen zu erleben als innerhalb, doch ein Blick in den Spielplan lohnt sich, denn früher oder später sind die Tölzer Knaben sicher irgendwo in der Nähe zu erleben.
Nummer drei der spannendsten neuen Gesichter ist Roland Böer, der in Nürnberg Interimsnachfolger von Joana Mallwitz wird. Die Staatsphilharmonie samt Musiktheatersparte muss in zwei Jahren aus dem renovierungsbedürftigen Opernhaus ausziehen, was bedeutet, dass man sich ab sofort in mehrfacher Hinsicht zwischen den Welten befindet: künstlerisch wie auch örtlich. Eine solche Phase in der Schwebe kann zweierlei bedeuten: Entweder man verwaltet den Opernbetrieb bis zum Auszug durch oder man wagt das künstlerische Experiment. Welchen Weg das Nürnberger Staatstheater einschlägt, liegt nun auch in den Händen des vielgereisten und erfahrenen Dirigenten, der nach eigenem Bekunden keine Herausforderung scheut. Man sieht also: Die Skepsis gegenüber Neuem, die den Bayern so gerne angedichtet wird, sie existiert eben doch vor allem als Klischee.
Besinnliches im Herbst
Zu guter Letzt noch ein Tipp aus der Sakralmusik, bei der das Drumherum eine nicht unwesentliche Rolle spielt: Sankt Michael in der Münchner Innenstadt lockt auch in diesem Jahr während der ersten Oktoberhälfte mit dem Münchner Orgelherbst. Nirgendwo sonst lässt sich schöner so manche Sünd’ auf der Wiesn bereuen, nirgendwo sonst kann man sich klangvoller auf die etwas tristere Zeit des Jahres einstellen wie in der Neuhauser Straße, wo in der Jesuitenkirche erlesene Künstler besinnliche, aber nicht immer sakrale Musik spielen.
Sa, 07. Dezember 2024 19:00 Uhr
Musiktheater
C. Schönberg: Les Misérables
Koen Schoots/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)
So, 08. Dezember 2024 18:00 Uhr
Musiktheater
C. Schönberg: Les Misérables
Koen Schoots/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)
Do, 12. Dezember 2024 19:00 Uhr
Musiktheater
C. Schönberg: Les Misérables
Koen Schoots/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)
Fr, 13. Dezember 2024 19:00 Uhr
Musiktheater
C. Schönberg: Les Misérables
Koen Schoots/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)
So, 15. Dezember 2024 18:00 Uhr
Musiktheater
C. Schönberg: Les Misérables
Koen Schoots/Andreas Partilla (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie)