Wie kann man sich auf diese Saison freuen? Bangen Blicks beobachtet man in Mitteldeutschland die Landtagswahlen und fragt sich: Was könnte ein ungünstiger Wahlsieg für die noch immer reiche institutionelle Orchester- und Theaterlandschaft bedeuten? Vermutlich ist es kein Zufall, dass noch Ende des vergangenen Jahres in Thüringen die öffentliche Kulturfinanzierung durch eine ungewöhnliche Vereinbarung mit der alten Landesregierung bis 2032 gesichert wurde – inklusive voraussichtlicher Tariferhöhungen. In Sachsen-Anhalt, wo erst 2026 gewählt wird, wurde der Kulturetat um ungefähr zwanzig Prozent auf 212 Millionen Euro erhöht, so dass kleinere Theater wie in Eisleben oder im Nordharzer Städtebund erhalten werden können.
Dagegen sehen die ebenfalls zahlreichen kleinen Theater in Sachsen einer ungewissen Zukunft entgegen. Das einst so gefeierte Kulturraumgesetz für die Fläche kennt keine Tarifsteigerungen oder gar Mindestgagen. Traditionellen Häusern samt ihren Orchestern wie in Görlitz, Bautzen oder Freiberg drohte teils mehrfach das Aus, und ausgestanden ist da nichts. Denn die Trägerkommunen können die explodierenden Kosten nicht tragen, obwohl gerade in den kleineren Städten die Bürgerschaft durchaus treuer hinter ihrer Kultur steht als anderswo. Schließlich bieten noch die kleinsten Konzerte und Kinderstücke hier am ehesten einen Ort des gesellschaftlichen Zusammenhalts, auf den sich irgendwie alle einigen können. Teilweise kostet auch der Transfer per Theaterbus mehr als die Eintrittskarte.
Auf zu den kleinen Krautern!
Umso wichtiger ist es da, dass wir gemeinsam quer durchs Land reisen – gern auch zu den kleinen Krautern. Denn die machen paradoxerweise oft ein spannenderes Programm als die großen Tanker. Hier sind junge, ambitionierte Dirigenten engagiert. Sie bekommen leider nicht so viel Aufmerksamkeit. So feiert etwa Markus L. Frank bei der Anhaltischen Philharmonie Dessau den neunzigsten Geburtstag von Alfred Schnittke, setzt aber auch Martinů, Enescu und Kodály aufs Programm.
Oder wenden wir den Blick ins südthüringische Meiningen: Bei der Hofkapelle startet der Ire Killian Farrell in seine erste Saison als Generalmusikdirektor. Wie angekündigt bietet er extravagante Kombinationen aus Alter Musik, Publikumslieblingen und Zeitgenössischem. Bei Brahms’ einstigem Lieblingsorchester treffen sich so Schostakowitsch mit Bach, Respighi mit John Williams, Liszt mit Ravel. Wenn’s doch nicht so weit ab vom Schuss wäre … Übrigens: Auch auf der Opernbühne zeigt Farrell sein Rundumtalent: Während er im Februar Rameaus unzertrennliches Brüderpaar Castor und Pollux auf die Bühne ruft, traut sich der erst dreißigjährige Chefdirigent im April locker auch einen „Tristan“ zu.
Nicht minder ambitioniert sind etwa die Programme der Magdeburger Philharmonie, die Chefdirigentin Anna Skryleva im nächsten Jahr auf eigenen Wunsch verlässt. Gleiches gilt für die philharmonischen Kollegen in Jena unter dem Schweizer Simon Gaudenz, der seinen Vertrag zum Glück bis 2029 verlängerte. Bei der Neuen Lausitzer Philharmonie in Görlitz gibt es mit seinem Landsmann Roman Brogli-Sacher einen Pult-Nachfolger für die Polin Ewa Strusińska und auch an der Neiße wechseln sich die üblichen kompositorischen Großkopfeten mit Komponisten wie John Adams, Fazıl Say und dem Schostakowitsch-Freund Mieczysław Weinberg ab.
Praktisch jedes noch so kleine mitteldeutsche Theater pflegt, wenn es über ein Orchester verfügt, das gute alte Sinfoniekonzert, und allüberall lohnt der Blick in die – leider teilweise recht spät verfügbaren – Spielzeitbücher. Und wo es nur eine Bühne gibt und kein Ensemble, exportieren fahrende Truppen wie die überragend präsente Elblandphilharmonie aus Radebeul die sogenannte Ernste Musik in Klitschen wie Pirna, Freital oder Großenhain.
Stabwechsel in Dresden
Und da haben wir uns ja noch gar nicht auf die richtig großen Brummer gefreut: Während bei der Sächsischen Staatskapelle Christian Thielemann vom Italiener Daniele Gatti abgelöst wird, der insgesamt mit wenig Überraschendem aufwartet, abgesehen vielleicht von Verdis Requiem achtzig Jahre nach der Dresdner Bombardierung, glitzert das Programm der städtischen Philharmoniker schon heller. Donald Runnicles hat es von der Deutschen Oper Berlin nicht weit nach Dresden, wo er mit der neuen Saison das Chef-Erbe von Marek Janowski antritt. Zum großen Gedenktag am 13. Februar bietet der Brite Brittens „War Requiem“ und auch sonst – dank Gästen wie Nagano oder Sanderling – eine beeindruckende Saison.
Urlaub nehmen muss man sich indes im Mai für das Gewandhausorchester: Dass dessen lettischer Kapellmeister Andris Nelsons den sowjetischen Großmeister Dmitri Schostakowitsch zu dessen fünfzigstem Todestag gleich mit einem ganzen Festival ehrt, verdient in diesen Zeiten besonderen Beifall. Die Aufführung sämtlicher Sinfonien gab es hier zuletzt unter Kurt Masur, und da war an die Zuladung des Boston Symphony Orchestra und die Gründung eines eigenen Festivalorchesters eher nicht zu denken. Oben drauf gibt es alle Solokonzerte und zwei Aufführungen der „Lady Macbeth von Mzensk“ in der Oper gegenüber. Da muss man einfach hin!
Denn so abwechslungsreich das sinfonische Repertoire in Mitteldeutschland wirkt, so rar sind die Mutigen unter den Operndramaturgen gesät. Wen wundert’s auch, wenn die Theater zum Erfolg verdammt sind? In Dresden startet die neue Intendantin Nora Schmid mit Boitos „Mefistofele“ in die Saison, schiebt Prokofjews „Orangen“ und immerhin Ravels „Das Kind und der Zauberspuk“ hinterher – eher selten gespielt, aber irgendwie auch eine seltsame Wahl. In Magdeburg lauert das „Schlaue Füchslein“ von Janáček im Wald, in Weimar kommt Weinbergs „Passagierin“ heraus. Dafür gibt es im Abstand von zwei Wochen in Leipzig und im siebzig Kilometer entfernten Dessau Tschaikowskys „Pique Dame“, die vor kurzem erst in Dresden Premiere hatte. Manchmal wundert man sich, denn abgesehen vielleicht von Brittens „Turn of the Screw“ in Halle bieten die Spielpläne nichts Weltbewegendes.
Festivals über Festivals
Aber wem das alles nicht reicht, der möge doch die zahlreichen Festivals entern: Ob man nun zum Saisonstart im Erzgebirge beim Musikfest „mitleuchtet“, ob man lieber die Kurschatten bei den „Chursächsischen Festspielen“ im Vogtland liebt oder doch eher die barocke Eleganz des Gothaer Ekhof-Theaters beim „Güldenen Herbst“ schätzt – die Festtage zu Ehren von Heinrich Schütz und Felix Mendelssohn Bartholdy folgen direkt nach. Wer wollte da noch jammern? Nur hingehen muss man. Denn das ist das beste Argument gegen sparwütige Politiker. Und darauf kann man sich richtig freuen.