Die jahrelange Phase der Heimatlosigkeiten, Auszüge, Umzüge, Wanderschaften, der mal platzenden, mal schrumpfenden Luftschlösser, sie will kein Ende nehmen in Bayern. Seit einem Vierteljahrhundert soll in der Landeshauptstadt ein neuer Konzertsaal Realität werden. Als man anfing, ernsthaft dieses Thema anzugehen, hieß der Landesvater Edmund Stoiber, spielten die Bayern und die Sechziger als Bundesligisten im Olympiastadion. Zwei Ministerpräsidenten und einen Stadionumzug später gab dann der Minister für Unterricht und Kultur Ludwig Spaenle 2016 zu Protokoll, das Konzerthaus-Projekt sei „unumkehrbar aufs Gleis gesetzt“. Sechs Jahre später wiederum verordnete Markus Söder mit Blick auf die globale Gemengelage und auf die üppigen Baukosten die vielzitierte „Denkpause“, und man fragte sich, ob das der erste Schritt zur Umkehr von der Unumkehrbarkeit sein könnte. Und 2024, kurz vor der Sommerpause, kam Bayerns Kunstminister Markus Blume mit einer anderen Idee um die Ecke: Warum machen wir alles nicht eine Nummer kleiner und günstiger? Zitat: „Hundert Prozent Erlebnis bei fünfzig Prozent der Kosten“. Was Herr Blume dabei unterschlägt: Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, für den das Konzerthaus in erster Linie gedacht ist, liefert schon seit Jahren hundert Prozent Erlebnis, sogar dann, wenn auf der brach liegenden Konzerthausbaustelle ein Riesenrad steht (vierzehn Euro die Fahrt).
Auch in seinem zweiten Jahr als Chefdirigent des Orchesters gibt sich Simon Rattle erfrischend experimentierfreudig. Nachdem er in der letzten Saison einen vielbeachteten Massen-Hoagascht veranstaltete, ruft er nun die Reihe „BRSO hip“ ins Leben. Der Titel ist etwas irreführend, denn er steht für das Vorhaben, mit dem Spitzenorchester in die Barockmusik vorzustoßen, wobei die Musiker zu historischen Instrumenten greifen werden. Im Februar gibt Rattle ein Bach’sches Kantatenkonzert, und im März stellt sich mit Andrea Marcon eine Koryphäe der historischen Aufführungspraxis ans Pult. Ach ja: „hip“ ist übrigens schlicht die Abkürzung für „historically informell performance“. Ansonsten bleibt das BRSO seiner großen Stärke treu und spielt sich querbeet durch die Welt der klassischen Musik – und auch querbeet durch München an sage und schreibe neun Spielorten.
Zu all den kulturellen Bau- und Sanierungsmaßnahmen in Bayern, die sich Anfang des Jahres laut Blume auf 1,4 Milliarden Euro beliefen, gesellt sich bald auch noch die Generalsanierung des Münchner Nationaltheaters, deren Kosten man dereinst auf 700 Millionen Euro taxierte. Doch diese Zahl müsste man inzwischen wohl nach oben korrigieren. Da trifft es sich gut, dass ab Herbst nochmal ein „Ring“ geschmiedet wird mit der Premiere vom „Rheingold“. Die Tetralogie setzt Tobias Kratzer in Szene, der eine Entität in den Mittelpunkt rücken möchte, die mehr und mehr an Bedeutung verliert: die Göttinnen und Götter dieser Welt. Eine weitere schwergewichtige Wagner-Premiere findet ein halbes Jahr später am Nürnberger Staatstheater statt, wenn GMD Roland Böer den „Fliegenden Holländer“ dirigiert.
Choreograf debütiert als Opernregisseur
In Nürnberg erfahren diesmal generell zentrale Werke der Opernliteratur ihre Premiere: „Die Zauberflöte“ im Oktober, „Eugen Onegin“ im November, außerdem „Die Dreigroschenoper“, „Macbeth“ und „Alcina“ in den ersten drei Monaten des kommenden Jahres. Auch hier scheint man das ungetrübte Musiktheaterleben in allen Zügen genießen zu wollen, bevor das Operngebäude einer Sanierung unterzogen wird. 2027 wird die Oper aufs ehemalige Reichsparteitagsgelände umziehen. Die dortige Interimsstätte soll – kein Witz – mindestens 25 Jahre genutzt werden, ehe Mitte dieses Jahrhunderts die Rückkehr an den Richard-Wagner-Platz ansteht. Aber noch schnell zur „Zauberflöte“: Die dürfte inszenatorisch hochinteressant werden, denn sie wird die erste Opernregie von Goyo Montero sein. Darüber hinaus präsentiert der langjährige und hochdekorierte Nürnberger Ballettdirektor zwei finale Arbeiten, denn der Choreograf wechselt im Sommer 2025 nach Hannover. Pikanterweise gibt Montero im Dezember einen Strawinsky-Abend, den er mit seinem Kollegen Marco Goecke gestaltet. Der war ehedem ausgerechnet in Hannover Ballettdirektor, wo er nach einem Übergriff auf eine Kritikerin geschasst wurde, bei dem eine Hinterlassenschaft seines Hundes Gustav eine pikante Rolle spielte.
Doch nun zu einem gelungenen Bauvorhaben: In diesem Monat jährt sich zum zehnten Mal die Eröffnung des Blaibacher Konzerthauses, das als Musterbeispiel gelungener Kulturpolitik und herausragenden Gemeindeengagements gilt. Die Existenz des Baus, mit Architekturpreisen überhäuft und einer herausragenden Akustik beschenkt, bezeichnen die 2 000 Einwohner des Oberpfälzischen Dorfes gerne als „Wunder von Blaibach“. Die musikalische Weihe erfuhr das Haus damals mit Haydns „Schöpfung“, die auch zehn Jahre später fürs Jubiläumskonzert erklingt. Es dürfte schwierig sein, einen der 200 Plätze zu ergattern, aber es folgen auch in den Monaten darauf reichlich Gründe, sich das Juwel einmal von innen anzusehen: Ende September sind Andreas Spering und „Das Neue Orchester“ zu Gast und spielen Bruckner (für 200 Besucher!), Anfang Januar kommen sie dann gemeinsam mit dem Chor der Klangverwaltung wieder und läuten das neue Jahr mit Beethovens Neunter ein. Außerdem gibt dort im Herbst Alexander Krichel einen Chopin-Abend, singt Daniel Behle mit Akemi Murakami am Klavier die „Schöne Müllerin“. Ein vertiefender Blick in den Veranstaltungskalender des Blaibacher Konzerthauses ist da absolut lohnenswert.
Und noch eine Baustelle: 2016 fiel der Vorhang im Großen Haus des Staatstheater Augsburg zum vorerst letzten Mal, seither wird das historische Gebäude am Kennedyplatz einer Generalsanierung unterzogen. Ursprünglich plante man mit Kosten von 186 Millionen und zehn Baujahren, inzwischen rechnet man mit 417 Millionen Euro und einer Rückkehr ins Stammhaus im Jahr 2030. Und was macht die Musiktheatersparte in ihren Ausweichquartieren? Gibt sich der großen Heiterkeit und guten Laune hin: Mozarts „Così fan tutte“ und Rossinis „La Cenerentola“ finden dort ihre Premiere, ebenso Moritz Eggerts „Die letzte Verschwörung“. Die groteske Oper über die Verbreitung alternativer Realitäten feiert im Oktober ihre deutsche Erstaufführung, zwei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten. Die Spielzeit selbst hat das Theater mit „aber witzig“ übertitelt. Wer also trotz allem Spaß haben will, sollte unbedingt auch nach Augsburg fahren.
Termintipp
Fr, 22. November 2024 19:30 Uhr
Musiktheater
Eggert: Die letzte Verschwörung
Wolfgang Schwaninger (Friedrich Quant), Luise von Garnier (Elisabeth Quant & Natalya Ostrova), Jihyun Cecilia Lee (Lara Lechner), Olena Sloia (Das System), Domonkos Héja (Leitung), André Bücker (Regie)
Termintipp
Sa, 23. November 2024 19:30 Uhr
Musiktheater
Tschaikowsky: Eugen Onegin
Stefanie Schaefer (Larina), Ilia Papandreou (Tatjana), Corinna Scheurle & Sara Šetar (Olga), Almerija Delic (Filipjewna), Samuel Hasselhorn (Eugen Onegin), Armin Petras (Regie)
Termintipp
So, 24. November 2024 17:00 Uhr
Musiktheater
Mozart: Die Zauberflöte
Roland Böer (Leitung), Goyo Montero (Regie)
Termintipp
Mi, 27. November 2024 19:00 Uhr
Musiktheater
Mozart: Die Zauberflöte
Roland Böer (Leitung), Goyo Montero (Regie)
Sa, 30. November 2024 19:30 Uhr
Premiere
Musiktheater
Rossini: La cenerentola
Ivan Demidov (Leitung), Manuel Schmitt (Regie)
Termintipp
So, 01. Dezember 2024 17:00 Uhr
Musiktheater
Tschaikowsky: Eugen Onegin
Stefanie Schaefer (Larina), Ilia Papandreou (Tatjana), Corinna Scheurle & Sara Šetar (Olga), Almerija Delic (Filipjewna), Samuel Hasselhorn (Eugen Onegin), Armin Petras (Regie)
Termintipp
Fr, 06. Dezember 2024 19:00 Uhr
Musiktheater
Mozart: Die Zauberflöte
Roland Böer (Leitung), Goyo Montero (Regie)
Termintipp
Sa, 07. Dezember 2024 19:30 Uhr
Musiktheater
Tschaikowsky: Eugen Onegin
Stefanie Schaefer (Larina), Ilia Papandreou (Tatjana), Corinna Scheurle & Sara Šetar (Olga), Almerija Delic (Filipjewna), Samuel Hasselhorn (Eugen Onegin), Armin Petras (Regie)
Sa, 07. Dezember 2024 19:30 Uhr
Musiktheater
Rossini: La cenerentola
Ivan Demidov (Leitung), Manuel Schmitt (Regie)
Termintipp
Sa, 14. Dezember 2024 19:30 Uhr
Premiere
Tanztheater
Scènes de ballet & Firebird
Marco Goecke & Goyo Montero (Choreografie)