Startseite » Vermischtes » Mehr als Baustellen

Highlights der Saison 2024/2025 – West

Mehr als Baustellen

concerti-Autor Christoph Vratz stellt seine persönlichen Highlights der kommenden Saison vor.

vonChristoph Vratz,

Das Wort Baustelle hat in den letzten Jahren in seiner Bedeutung mutiert. Es gab einmal Zeiten, als sich mit diesem Begriff so etwas wie Vorfreude oder Neubeginn verbunden hat. Heutzutage suggeriert er eher Verschleppung, Verteuerung, Verkomplizierung. Längst hätte die Baustelle am Kölner Offenbachplatz wieder geschlossen und das Opernhaus neueröffnet werden sollen. Doch weiterhin heißt es dort: „Baustelle“. Personelle Baustellen hat man auch beim Gürzenich-Orchester. Die unfreiwillige vorzeitige Demission des Chefdirigenten François-Xavier Roth ist besiegelt, doch mussten die vorgesehenen Dirigate kurzfristig neu besetzt werden.

Zu den Repertoire-Highlights der kommenden Saison zählt sicher das szenisch realisierte Oratorium „La Passion de Simone“, eine musikalische Hommage an Simone Weil, die aus Solidarität mit den Opfern im Zweiten Weltkrieg jegliche Nahrungsaufnahme verweigerte und 1943 an den Folgen starb. Die finnische Komponistin Kaija Saariaho hat vor ihrem viel zu frühen Tod 2023 dieses Oratorium als ihr musikalisches Testament bezeichnet. Dirigieren wird übrigens Christian Karlsen, der ehemalige künstlerische Leiter des Saariaho-Festivals in Den Haag.

Artist in Residence beim Festival „Alte Musik Knechtsteden“: Dorothee Oberlinger
Artist in Residence beim Festival „Alte Musik Knechtsteden“: Dorothee Oberlinger

Das Wort von der Baustelle kreist seit Jahren auch über Kölns Philharmonie. Eine Komplett-Schließung für die erforderliche Renovierung scheint derzeit weniger wahrscheinlich, auch weil es an einem geeigneten Ausweichquartier mangelt. Doch sicher ist in Köln: nichts. Immerhin: Ewa Bogusz-Moore heißt die neue Intendantin, die mit Ende der Saison 2025/26 Louwrens Langevoort beerben wird. Dann werden es genau zwanzig Jahre sein, seit der Niederländer sein Amt am Rhein angetreten hat. Seine letzte Spielzeit beginnt mit einem Festival, das er selbst ins Leben gerufen hat: „Felix“, das Originalklang-Festival rund um die historische Aufführungspraxis. Die sechste Ausgabe rückt die Musik Nordwesteuropas ins Rampenlicht: Werke aus Flandern und den Niederlanden aus dem 16. und 17. Jahrhundert, mit Philippe Herreweghe, Pablo Heras-Casado und anderen – Entdeckungen garantiert. In der folgenden Philharmonie-Spielzeit wird übrigens der Schlagwerker Christoph Sietzen als Porträt-Künstler präsentiert, mit vier Konzerten zwischen September und April.

Porträt-Künstler der Kölner Philharmonie: Christoph Sietzen
Porträt-Künstler der Kölner Philharmonie: Christoph Sietzen

Opernhaus der Zukunft

Und noch einmal Baustelle. In der Düsseldorfer Filiale der „Deutschen Oper am Rhein“ schraubt man seit Längerem an einem Projekt „Opernhaus der Zukunft“. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Stammhaus am Hofgarten ausgedient hat. Eine neue Spielstätte soll mitten in der Stadt entstehen, am Standort Am Wehrhahn/Oststraße. Einen „städtebaulichen Impuls“ nennt der Oberbürgermeister die Entscheidung. Möge sie vor allem der Kunst dienen. Bis das neue Haus allerdings steht, werden noch Jahre vergehen. Erstmal spielt man weiter am angestammten Platz, allerdings gibt es einen neuen Chefdirigenten. Axel Kober hat das Haus verlassen, Vitali Alekseenok heißt sein Nachfolger, knapp über dreißig Jahre jung, gebürtig in Belarus, ausgebildet in St. Petersburg und Weimar. Gleich mit der ersten Premiere gibt er Mitte September mit Giuseppe Verdis „Nabucco“ seinen Einstand. Auch auf seine Deutung von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ im Februar darf man gespannt sein. Ebenfalls empfehlenswert: ein Abstecher in die nahegelegene Tonhalle. Dort hat Intendant Michael Becker mit der Klarinettistin Sharon Kam einen Artist in Residence verpflichtet, bei dem es garantiert keinen Takt Langeweile geben wird: sieben Konzerte in fünf verschiedenen Formaten. Unter anderem spielt Kam mit ihrem Bruder Ori im September eine lohnende Rarität: das Doppelkonzert für Klarinette und Bratsche von Max Bruch.

Seit ihrem Amtsantritt als Intendantin am Essener Aalto-Musiktheater hat Merle Fahrholz mehrere Bühnenwerke von Komponistinnen herausgebracht, zuletzt „Faust“ von Louise Bertin. Im kommenden Januar wird Missy Mazzolis Oper „The Listeners“ (Premiere 2022 in Norwegen) erstmals in Deutschland aufgeführt. Die Geschichte der Handlung kreist um Menschen, die ein unerklärliches Summen wahrnehmen, bis die Situation außer Kontrolle gerät. Auch auf den neuen „Parsifal“ am März unter Leitung von Andrea Sanguineti darf man sich freuen.

Wuppertals GMD Patrick Hahn leitet im September die Premiere von „Salome“
Wuppertals GMD Patrick Hahn leitet im September die Premiere von „Salome“

Wenige Meter vom Opernhaus entfernt liegt die Philharmonie, die einen der begehrtesten Dirigenten unserer Zeit als Porträtkünstler verpflichten konnte: Klaus Mäkelä, der Wundermann aus Helsinki, der ab 2027 als Chef beim Chicago Symphony und beim Concertgebouw Orchestra beginnen wird, kommt in den Saalbau mit den Amsterdamern (mit Mahler), mit den Wiener Philharmonikern (Mahler) und mit dem Orchestre de Paris (Mussorgski). Höhenflüge eines Hochbegabten?

Quer durch die ganze Region

Die Theaterdichte in Nordrhein-Westfalen ist so groß wie in kaum einer anderen Region Europas. Und so lohnen immer wieder Fahrten quer durch die ganze Region. In Dortmund ist der über die letzten Jahre hinweg geschmiedete „Ring“ künftig als vollständige Tetralogie zu erleben, Gelsenkirchen wagt sich ab Februar an eine Gegenüberstellung von Tschaikowskys „Iolanta“ und Strawinskys „Le Rossignol“; ähnlich in Hagen, wo man „Iolanta“ mit dem „Feuervogel“ kombiniert (Februar); in Wuppertal leitet der umtriebige Patrick Hahn die Premieren von „Salome“ (September) und „Don Giovanni“ (Mai); in Aachen darf man sich auf Verdis Victor Hugo-Vertonung „Ernani“ freuen (Juni), in Bonn sticht die Neuproduktion der „Meistersinger von Nürnberg“ heraus (Oktober), Leoš Janáček „Das schlaue Füchslein“ kommt nach Münster (April), und am Niederrhein feiert man 75 Jahre der beständigen Theaterehe von Krefeld und Mönchengladbach.

Sharon Kam gibt sieben Konzerte in Düsseldorf
Sharon Kam gibt sieben Konzerte in Düsseldorf

Bleiben noch Festivals, die eine Vormerkung im Kalender verdienen: Im September beginnt bei „Alte Musik Knechtsteden“ eine neue Ära, da nach über drei Jahrzehnten Hermann Max den Staffelstab weitergibt an den künftigen Leiter Michael Rathmann, mit Dorothee Oberlinger als Artist in Residence. Im November sind Festivals eher rar, aber in Herne gibt es die „Tage Alter Musik“. Als Vorfreude auf den kommenden Sommer dürfen „Spannungen“ in Heimbach gelten und natürlich das Klavier-Festival Ruhr, das unter der neuen Intendanz von Katrin Zagrosek neue Schwerpunkte setzt.











Auch interessant

Rezensionen

  • Dirigierte 2000 zum ersten Mal die Sächsische Staatskapelle Dresden: Daniele Gatti
    Interview Daniele Gatti

    „Es gibt nichts Vergleichbares“

    Der italienische Dirigent Daniele Gatti übernimmt ab der nächsten Spielzeit den Chefposten bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden.

Anzeige

Audio der Woche

A Day with Suzanne – A Tribute to Leonard Cohen

Zeitlose französische Chansons der Renaissance treffen auf legendäre Songs von Leonard Cohen, interpretiert vom Ensemble Phoenix Munich unter der Leitung von Joel Frederiksen.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!