Schon der synkopierte Achtel-Rhythmus, gespielt auf der Hi-Hat des Schlagzeugs, macht in den ersten vier Takten von Alec Templetons „Bach Goes To Town“ klar: das Stück swingt! Doch stellt sich sofort die Frage, warum der Name Johann Sebastian Bachs im Titel des 1938 erstmals von Bandleader und Klarinettist Benny Goodmann aufgenommenen Stücks auftaucht, handelt es sich doch offensichtlich um eine Jazz-Komposition. Einen Hinweis liefert der Untertitel „A Fugue in Swing“, der auf den Arrangeur Henry Brant zurückgeht. Hatte Templeton etwa eine Bach-Fuge „verjazzt“?
Obwohl die Vermutung zunächst naheliegend ist, vermied der ursprünglich aus dem walisischen Cardiff stammende Templeton die Bearbeitung einer der Bach’schen Fugen bewusst. Statt auf vorhandenes Material des Barockmeisters zurückzugreifen und es im Jazzgewand neu auferstehen zu lassen, brannte Templeton eine viel grundlegendere Idee unter den Nägeln. Er wollte das auf Imitation beruhende, polyphone Kompositionsprinzip der Fuge in den Jazz übertragen. Dass Bach dennoch die Quelle seiner Inspiration gewesen ist, macht sein ironischer Titel, der im amerikanischen Slang der 1930er-Jahre soviel bedeutet wie „Bachs hat es drauf“, deutlich.
„Bach Goes To Town“
Templetons Werkkonzeption von „Bach Goes To Town“ lehnt sich im Detail an Bachs zweiteiliger Form mit Präludium und Fuge an. Ersteres als Vorspiel mit hinführendem Charakter, die Fuge mit barocker Melodieführung, typischer Imitationsfolge und signifikanten Schlusswendungen. Gleichzeitig ist jedoch alles eingebettet in Jazzharmonik und Ragtime-Rhythmik, was die Komposition tatsächlich zum ersten Jazzstück mit barocken Formanleihen macht, welches keine Bearbeitung eines klassischen Werks darstellt.
Insgesamt existiert das Werk in zwei verschiedenen Arrangements. Eine Version von Henry Brant aus dem Jahr 1937 für Klarinette, zwei Trompeten, jeweils zwei Alt- beziehungsweise Tenorsaxophone, drei Posaunen und Kontrabass beschränkt sich lediglich auf die Fuge. Das zweite Arrangement von Fred Karlin aus dem Jahr 1959 berücksichtigt auch das Präludium, wurde jedoch nie aufgenommen. Warum Templeton sein Werk nicht selbst orchestrierte ist bis heute unbekannt. Dass in seiner Jazz-Fuge ein Rundfunkhit schlummerte, ahnte er anscheinend nicht.
Hit im amerikanischen Rundfunk
Benny Goodman hingegen witterte sofort das Erfolgspotenzial von Templetons neuartigem Crossover-Konzept und ging mit seinem Orchester am 15. Dezember 1938 ins Studio, um die neuartige Komposition einzuspielen. Goodman selbst war kein klassisch ausgebildeter Musiker, spielte jedoch immer wieder Werke klassischer Komponisten und war somit an das Pendeln zwischen den Genres gewöhnt. Aus seiner langjährigen Konzerterfahrung wusste er, wie ein Radio-Song zu klingen hatte. Sein Instinkt sollte ihn nicht täuschen – „Bach Goes To Town“ wurde zum Hit im Radio.
Benny Goodmans Radiohit „Bach Goes To Town“ von 1938: