Als selbsternannter „Bad Boy of Music“ hatte sich George Antheil bereits zu Beginn der 1920er-Jahre einen Ruf als Skandalkomponist erarbeitet. Nicht selten arteten die von ihm veranstalteten Konzerte in regelrechte Saalschlachten aus – der Legende nach trug er sogar immer eine Pistole im Schulterhalfter, um sich notfalls einen Fluchtweg freizuschießen. Folglich nahm auch Paul Whiteman an, der für ein von ihm veranstaltetes Konzert in der New Yorker Carnegie Hall auf der Suche nach neuen Werken war, dass das von Antheil 1925 angekündigte Orchesterstück „A Jazz Symphony“ zu radikal sein könnte. Wie sich später zeigen sollte, waren Whitemans Bedenken nicht ganz unbegründet…
Ganz oder gar nicht
Ähnlich wie Whiteman und Gershwin war Antheil ebenfalls an einer Zusammenführung von der europäischen Kunstmusik und der in Europa zu der Zeit gerade aufkeimenden Jazzmusik interessiert. Anders jedoch als bei seinen Kollegen war seine Vorgehensweise wesentlich radikaler. Wo Gershwin noch die Stilhöhe beider Gattungen zu überwinden versuchte und Whiteman den Jazz in seinen Kompositionen durch Artikulation erfahrbar und vor allem salonfähig machen wollte, sah Antheil im Jazz eine neue legitime Form der sinfonischen Musik. Dass er seinen Versuch, beide Gattungen zu fusionieren in einem eigenen Konzert zur Schau stellen wollte, stand für ihn von vornherein fest.
„A Jazz Symphony“
Maßgeblich beeinflusst wurde Antheils „A Jazz Symphony“ von dem heute als „New Orleans Jazz“ bekannten Jazzstil, der sich in den 1920er-Jahren auf dem Höhepunkt seiner Popularität befand und sich durch seinen großen Freiraum für kollektive Improvisationen auszeichnete. Um diesen Stil als neue Form der Sinfonik zu etablieren, reinterpretierte Antheil die Eigenschaften der neuartigen Südstaatenklänge in seinem viertelstündigen, fast anarchisch klingenden Orchesterstück.
George Antheils „A Jazz Symphony“ in der Version von 1925:
Angelegt für großes Orchester, drei Klaviere, Banjos und Jazzschlagzeug ist „A Jazz Symphony“ eine Klangcollage aus jazztypischen Rhythmen, angelehnt an „Stomp“- und „Ragtime“-Kompositionen, kombiniert mit einer Vielzahl von solistischen Passagen. Durch die Einbettung dieser Elemente in sinfonische Klänge, inklusive eines Wiener Walzers und auf Tonband aufgenommene Flugzeugpropellergeräusche, ist das Stück konzeptionell einzigartig in der Orchesterliteratur.
Ein Mammutprojekt
Nachdem Antheil die Komposition abgeschlossen hatte, überredete er den Bandleader und Komponisten W. C. Handy mit der „Harlem Symphonietta“ die Uraufführung zu übernehmen. Insgesamt setzte Antheil fünfundzwanzig Probentermine an, nach deren Hälfte Handy frustriert das Handtuch warf und die Leitung an Allie Ross übergab. Für den Abend des 10. April 1927 in der New Yorker Carnegie Hall stand zusätzlich Antheils Skandalkomposition „Ballet Mécanique“ auf dem Programm, die im Vorjahr in Paris begeistert aufgenommen wurde. Es kam wie es kommen musste – Paul Whiteman sollte mit seinen Bedenken recht behalten.
Hoffnungslos überfordertes Publikum
Das Konzert geriet zu einem Desaster. Obwohl „A Jazz Symphony“ zunächst viel Applaus erhielt, kippte die Stimmung im Saal nachdem das „Ballet Mécanique“ erklungen war. Von dem ersten Stück des Abends sprach im Nachhinein niemand mehr und das, obwohl George Gershwin, der im Publikum saß, sich noch mehrfach positiv über das Werk äußerte. Antheil hatte das Publikum hoffnungslos überfordert.
Fast dreißig Jahre später, im Jahr 1954, musste auch der sonst vor Selbstbewusstsein strotzende Antheil einsehen, dass „A Jazz Symphony“ einer Überarbeitung bedurfte. Er verkleinerte daraufhin die Besetzung, kürzte das Werk um die Hälfte, entfernte die allzu dissonant klingenden Passagen und strich ein Großteil der Solopassagen. Übrig blieben ein auf Whitemans „Symphonic Jazz“ verweisendes Stück und die Erinnerung an einen der radikalsten Versuche, den Jazz und die Kunstmusik zu fusionieren.
Antheils revidierte Fassung von „A Jazz Symphony“ von 1954: