Seinen Sängersolisten vertraut Christoph Hagel zuweilen blind. Gerade während der Endproben, wenn sich Hagel voll auf die Musik konzentrieren muss, kann er sich sicher sein, dass die jungen Sänger sämtlich begabte, fantasievolle Darsteller sind, die sich längst ihr eigenes Bild von Mozarts Figaro gemacht haben. „Da kann ich die Sache als Regisseur auch laufen lassen – nicht immer, aber manchmal.“
Sonst wäre für Christoph Hagel die Herkulesaufgabe, als Dirigent und Regisseur gleichzeitig eine fast vierstündige Oper zu stemmen, wohl nicht zu bewältigen – ohne jegliche öffentliche Subvention und noch dazu in einem Raum, der keineswegs über die herkömmliche technische Einrichtung eines Opernhauses verfügt. Mit Figaros Hochzeit bringt Hagel nun zum dritten Mal eine Oper von Wolfgang Amadeus Mozart ins Bode-Museum. Mit Mozart hatte er schon zuvor, im Frühsommer 2008, mit einer spektakulären Zauberflöte in einem U-Bahn-Tunnel von sich reden gemacht – in einer Stadt, die an ausgefallenen Musiktheater-Spektakeln nun wirklich nicht arm ist.
Mit Mozarts vieraktiger Komödie nach dem Revolutionsschauspiel von Beaumarchais bewegt sich Christoph Hagel im Bode-Museum erstmals außerhalb des Tragischen. Als Theaterraum vermittle die opulente neobarocke Halle des Museums eigentlich eher „einen tragischen Gestus“. Mozarts ernste Jugendoper Apollo und Hyacinth in lateinischer Sprache sowie der späte Titus, die Christoph Hagel zuvor hierher brachte, sie orientierten sich in ihrem starren gehobenen Theaterstil an barocken Seria-Opern. Sie profitierten von der steinern-erhabenen, ja kirchlichen Aura der Bodeschen Räume.
Figaro soll vor allem von den jungen Sängern profitieren. Dass Christoph Hagel so viele davon zur Auswahl hatte, hat den rührigen Musiktheatermann überhaupt erst auf die Idee gebracht, es im Bode-Museum mit dem genialen Mozartschen Verwirrspiel zu probieren. Hagel entwirft seine Inszenierung von den Sängerpersönlichkeiten aus, nicht von einem programmatisch festgezurrten Regie-Konzept. Die bleibende Aktualität des Stoffes liegt für Hagel auf der Hand: „Ein Mann nutzt seine Macht aus und versucht, eine Angestellte sexuell gefügig zu machen. Da muss man nicht erst an ranghohe europäische Amtsträger in New Yorker Hotelzimmern denken, das gibt’s überall.“ Der Reiz des Figaro-Dramas nun besteht darin, dass Graf Almaviva es bei seiner erotischen Verfolgungsjagd geschickter anstellt als so mancher liebestolle Mächtige in der Realität – und dass der Graf von noch geschickteren Untergebenen an seinem Vorhaben gehindert wird.