Nur vier Jahre nach dem Stadtratsbeschluss, den Gasteig zu sanieren, öffnete nun die Isarphilharmonie als Interimsspielstätte ihre Pforten. Patriotische Münchner hätten sich freilich einen originelleren Namen gewünscht, aber man ist ja schon froh, wenn nach zwei nach Carl Orff benannten Münchner Konzertsälen nicht noch ein dritter Orff-Tempel hinzukommt. „Ist es nicht fantastisch, was hier entstanden ist mit unser aller Steuergelder?“ Mit diesen Worten eröffnete Gasteig-Chef Max Wagner das Festkonzert. „Gasteig HP8“ nennt sich das Gelände, das während der vierjährigen Generalsanierung dem Gasteig als Ausweichquartier dient.
Im Hinblick auf zukünftige Umbauten wurde ein akustisch von der Außenfassade entkoppelter Saal mit abmontierbaren Holzmodulen konzipiert. Erstaunlich kompakt, aber unter einer hohen Decke sitzt man hier mit ansteigendem Parkett, Balkon und Rang fast wie in einem Opernhaus. Die schwarze Vertäfelung der Wände und eine eher sparsame Saalbeleuchtung während des Konzerts sorgen für eine etwas düstere Atmosphäre. Auch ein den provisorischen Charakter betonender Industrieflair wird vom Publikum bemerkt.
Die demonstrative Schlichtheit richtet den Fokus ganz auf die Musik – an diesem Abend also auf Beethovens viertes Klavierkonzert mit Daniil Trifonov als Solist, das besinnliche „The Sealed Angel: I. Truly. Angel of God“ für Chor und Soloflöte von Rodion Schtschedrin sowie drei handwerklich raffinierte Werke von Thierry Escaich, Henri Dutilleux und Maurice Ravel, die einander nicht nur wegen der französischen Herkunft der Tonsetzer, sondern auch in Dramaturgie, Tonsprache und Besetzung stark ähnelten: impressionistische Landschaften in spätromantisch erweiterter Orchesterbesetzung mit bombastischen und perkussiven Steigerungen als Schlusspunkt nach jeweils knapp zwanzig Minuten.
Glänzende Zwischenlösung: Isarphilharmonie
Und wie schlägt sich der neue Musentempel klanglich? Gemeinsam mit den Philharmonikern schwingt man sich auf die neue Akustik ein – in der Hoffnung, nach den eher ungeliebten bestehenden Sälen im Gasteig (zu distanziert und leise) und dem Herkulessaal der Residenz (fehlende Klangentfaltung bei großen Besetzungen) möge sich mit dem Interimsquartier endlich der ersehnte Wohlklang einstellen, für den Star-Akustiker Yasuhisa Toyota verantwortlich zeichnet. Angenehm hölzern, eher trocken und nüchtern, aber keinesfalls überakustisch klingt es, dafür auch deutlich näher am Geschehen als in der Philharmonie im Gasteig. Berücksichtigt man, dass die Fertigstellung des Konzerthauses im Werksviertel für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks momentan erst für 2030 angesetzt ist, ist das Provisorium Isarphilharmonie ein echter Glücksfall für das Konzertleben der Stadt.
Schon jetzt stehen Gastauftritte berühmter Orchester wie der Wiener Philharmoniker, der Camerata Salzburg oder dem Tonhalle-Orchester Zürich für die kommende Saison fest, auch der weltbekannte Tenor Jonas Kaufmann singt hier im Dezember. Im Januar erprobt Evgeny Kissin die Intimität eines Solo-Recitals auf dem Klavier, nachdem bereits Daniil Trifonov bei seiner Zugabe (Bachs Choralbearbeitung „Jesu bleibet meine Freude“) gezeigt hat, wie gut dies hier gelingen kann. Außerdem sollen Pop und Jazz hier ihren Platz finden. Dann könnte sich die dezente Akustik als Stärke erweisen, da bei elektronisch verstärkter Musik ein zu intensiver Nachhall von Nachteil wäre. Die kalte, schummrige Fabrik-Ausstrahlung wird sowohl für opulente Bühnenshows als auch für die Neue-Musik-Szene der Stadt interessant sein, der die spezielle Aura einer Zwischennutzung in der alten Schwere-Reiter-Halle ohnehin vertraut ist.