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Musikalische Spurensuche: Torgau

Fürstenwonne und Sängerschmiede

Reformationsmusik und höfische Feste in Torgau.

vonRoland H. Dippel,

Der Blick auf das Schlossensemble Hartenfels aus der Richtung von Dresden macht das Hochgefühl der adeligen Besitzer und Gäste bei deren Anreise mit Ross und Kutsche spürbar. Nach Torgau sind es von Dresden etwa 95, von Wittenberg und Leipzig je 60 Kilometer. Heute gilt die ehemalige Siedlung um Schloss Hartenfels als prädestiniert für nachhaltigen Tourismus. Die Altstadt von Torgau innerhalb des grünen Glacis-Rings ist ein in Sachsen einmaliges Ensemble. 500 Einzeldenkmale, Festungsanlagen und annähernd 20 Museen mit Ausstellungsprojekten befinden sich hier: Kultur und Krieg in scharfen Parallelen, denn Torgau ist auch ein Gedenkort der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Neben der Reihe Rathauskonzerte und der Ende Juni stattfindenden Festwoche der Kirchenmusik hält vor allem die Internationale Sängerakademie Schloss Hartenfels im Juli zwei Wochen die Ideale einer vielbeschworenen Torgauer Musiktradition in Erinnerung. Inzwischen wurde die Sängerakademie für Torgau die fünfte Jahreszeit. Nicht nur die Anwesenheit der bei einheimischen Musikfreunden logierenden Akademie-Teilnehmer macht die Stadt in dieser Zeit bunter, sondern auch die jeden Tag stattfindenden Mittagsmusiken und Abendkonzerte an pittoresken Orten wie dem Renaissance-Rathaus, der Stadtkirche Sankt Marien mit der Begräbnisstätte von Martin Luthers Ehefrau Katharina von Bora oder dem Hof von Schloss Hartenfels. Wintergrüne lautet der poetische Name für die Straße von der Schlossbrücke über den Graben mit dem Bärenzwinger zur Stadtkirche.

Letzter Schliff in Torgau

Innenhof Schloss Hartenfels
Innenhof Schloss Hartenfels

„Torgau ist immer meine Wonne gewesen“, bestätigte Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige. Studierende und ausgebildete Sänger aus der ganzen Welt arbeiten in Torgau an ihrer deutschen Diktion für Musiktheater, Lied und Konzert. Hier können sie im täglichen Einzelunterricht vertiefen, was im Hochschulalltag oft zu kurz kommt. Dadurch erhoffen sie sich bessere Chancen für Festverträge an Musiktheatern in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Während in anderen Meisterklassen vor allem ein breites Repertoire in Originalsprache erarbeitet wird, erhalten Studierende in Torgau den letzten Schliff für Bach, Wagner, Schubert und Lehár durch Professoren der Leipziger Musikhochschule und jährlich wechselnde Gastdozierende, etwa Brigitte Fassbaender, Andreas Scholl, Dagmar Schellenberger, Simone Kermes oder Christine Schäfer. Kulturinteressierte der Stadt, die weder ein eigenes Orchester noch ein eigenes Theater besitzt, brachten das Projekt durch die Gründung einer Stiftung auf den Weg. Elvira Dreßen, langjähriges Mitglied im Ensemble der Berliner Staatsoper Unter den Linden, setzt ihre Hochschulnetzwerke nach Leipzig und nach Dresden zu Rektor Axel Köhler ein.

Als historischer Ort der deutschen Sprache hat Torgau eine überragende Bedeutung. Das Attribut „Erste deutsche Oper“ für Heinrich Schütz‘ Musik zur Torgauer Fürstenhochzeit 1627 trifft den Sachverhalt der Aufführungssituation und die Gattungsbezeichnung allerdings nur ungenau: War diese „Daphne“ tatsächlich eine Oper wie das Vorbild-Opus „Dafne“ von Jacopo Peri und Ottavio Rinuccini? Martin Opitz hatte die Verse eingedeutscht für die Uraufführung während der Hochzeitsfeierlichkeiten von Prinzessin Sophie Eleonore von Sachsen und Georg II. von Hessen-Darmstadt, die neben Sensationen wie Bärenkämpfen und einer Wolfsjagd kaum bemerkt und als zweitrangiges Vergnügen betrachtet wurde. Hatte Heinrich Schütz, der auch einer vermuteten Zweitaufführung der „Tragicomoedia von der Dafne“ auf Schloss Osterstein bei Gera beigewohnt hat, zum Zeitpunkt der Komposition tatsächlich bereits Kenntnisse von der modernen Art der Rezitativ-Komposition, die er erst bei seinem Venedig-Aufenthalt nach der „Dafne“-Uraufführung kennenlernen konnte? Heute befinden sich in dem von Conrad Krebs und der Werkstatt von Lucas Cranach d. Ä. von 1533 bis 1536 ausgeführten Schlossflügel mit dem Festsaal und Prunkräumen neben Museen auch Verwaltungseinrichtungen. Ein höfisches Theater gab es in Torgau allerdings nicht.

Von Schütz‘ „Dafne“ sind keine Noten erhalten. Aber diese von der Churfürstlichen Cantorey aufgeführte Komposition des Churfürstlichen Sächsischen Capellmeisters muss als interaktive Mischung aus höfischem Ballett, Chören und Huldigungsspiel ein Fest für Auge und Ohr gewesen sein. Aufschluss über das, was an den deutschen Höfen als Musiktheater galt, gibt die von Bachfest-Intendant Michael Maul entdeckte, erste erhaltene deutsche Oper „Pastorello musicale“ von Johann Sebastiani (Königsberg 1663).

Auf den Spuren Luthers

Martin Luther, Gemälde von Lucas Cranach d.Ä.

Für die Torgauer Fürstenhochzeit reiste die professionelle Hofkantorei aus Dresden an, weil die Torgauer Hofkapelle bereits 111 Jahre früher – also 1526 – von Johann dem Beständigen aufgelöst worden war. Luthers musikalischer Helfer Johann Walter verlor deshalb sein Amt im Fürstendienst und wurde Musiklehrer an der berühmten Torgauer Lateinschule mit fast 400 Schülern. Kurz darauf gründete er mit diesen und unter Mitwirkung von Bürgern die Torgauer Stadtkantorei, die mit ihm als hauptamtlichen Kantor zum Vorbild für die Institutionalisierung des evangelischen Gemeindemusikwesens wurde. Es ist nicht bekannt, wie oft sich Johann Walter und Martin Luther in Torgau getroffen hatten. 1524 erschien die erste Auflage von Walters Geistlichem Gesangbüchlein, das er für mehrere Auflagen immer wieder bearbeitete. Walter war 1525 Luthers wichtigster Berater bei der Umgestaltung der Deutschen Messe und deren einstimmiger musikalischer Liturgie. Von Walter stammen die ersten und bis Anfang des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Vertonungen der Matthäus- und Johannes-Passion. Ein Eigentümer des Priesterhauses aus dem Jahr 1483 war Luthers Freund Georg Spalatin. In diesem wurde zum Reformationsjubiläum 2017 ein Museum für Johann Walter in direkter Nähe zur Katharina-Stube eingerichtet. Der Förderverein für Denkmalpflege hatte das Haus nach dem Tod des letzten Bewohners 2011 erworben.

Mit dem Erschnuppern von Atmosphäre, einer Promenade an der Elbe und einem Besuch bei den Braunbären Bea (7), Benno (7) und Jette (32) auf der Hängebrücke über dem Schlossgraben ist man in Torgau gut einen Tag beschäftigt. Die Stadt liegt an der Bahnlinie zwischen Cottbus und Leipzig, Buslinien verkehren auf den Strecken von Torgau nach Oschatz (764, PlusBus 781), nach Greudnitz (PlusBus 759), nach Herzberg/Elster (527) und Prettin (751). Auf einer Elberadtour empfiehlt sich für Musik- und Kunstliebhaber eine Übernachtung. Einen Besuch der Erinnerungsorte für die Opfer der Wehrmachtsjustiz, der sowjetischen Speziallager und der Haft in der DDR sollte man nicht vergessen.

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