2003 machte sich das ZDF auf die Suche nach „unseren 100 besten und wichtigsten Deutschen“ und nominierte über 400 Kandidaten. Fast 100.000 Zuschauer beteiligten sich an der Wahl per Internet, Telefon, Postkarte und SMS, und ließen Mozart gegen Nena und J. S. Bach gegen Dieter Bohlen antreten. 160 Jahre vorher aber baute man steinerne Ruhmeshallen wie die Walhalla. Und es waren keine Popstars und selbsternannte Poptitanen, mit denen ein Brahms, ein Wagner oder Goethe oder der Minnesänger Walther von der Vogelweide sich die Ehre teilen mussten; dafür aber Kriegsgewinnler, Feldherren, Herrscher, ja sogar der Vater des Kunstdüngers Justus von Liebig. Die „bedeutendsten Persönlichkeiten teutscher Zunge“ sollten für König Ludwig I. von Bayern Eingang in der Walhalla finden. „Bei Regensburg lässt er erbaun eine marmorne Schädelstätte“, spottete einer über den König, der lange auf seine Aufnahme warten musste. „Er liebt die Kunst, und die schönsten Fraun. Die lässt er porträtieren“, dichtete Heinrich Heine 1844 süffisant und beschimpfte den Fürsten als „Kunst-Eunuchen“, der „in diesem gemalten Serail spazieren“ geht. Erst 154 Jahre nach seinem Tod verzieh man ihm. Doch davon später.
„Möchte Walhalla förderlich sein der Erstarkung und der Vermehrung deutschen Sinnes!“ stand auf einem Stein zu lesen, als die Walhalla am 18. Oktober 1842 von Ludwig I. nach zwölfjähriger Bauzeit eröffnet wurde. Und: „Möchten alle Deutschen, welchen Stammes sie auch seien, immer fühlen, dass sie ein gemeinsames Vaterland haben, ein Vaterland, auf das sie stolz sein können, und jeder trage bei, soviel er vermag, zu dessen Verherrlichung.“ Was uns heute pathetisch und manchen „politisch korrekt“ Denkenden wie eine Diskrimierung erscheint, ist nur vor dem Hintergrund der politischen Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu verstehen. 1806 zerbrach das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nach zahlreichen Niederlagen gegen Napoleon – „Teutschlands tiefste Schmach“, wie es damals hieß. Notgedrungen oder aus Opportunismus arbeiteten viele deutsche Fürsten im sogenannten Rheinbund mit den Franzosen zusammen, nahmen auch an Napoleons verheerendem Russlandfeldzug 1812 teil. Das Kurfürstentum Bayern übrigens war seit 1805 mit Frankreich verbündet und von Napoleon zum Königreich erhoben worden. Und doch war bei den bayerischen Kronprinzen Ludwig eine Sehnsucht nach nationaler Identität, die man in der Vergangenheit und der „teutschen Zunge“ suchte. „Die Sprache“ sei „das große Band, das verbindet, wäre jedes andere gleich zernichtet; in der Sprache währt geistiger Zusammenhang“.
Klassizistischer Prachtbau: Walhalla
Für den Bau der Ehrenhalle beauftragte Ludwig den bedeutendsten Architekten des Klassizismus Leo von Klenze, der zur gleichen Zeit die Münchner Glyptothek baute. Als Standort dachte man zunächst an den Englischen Garten in München, verlegte sich aber bald auf den Bräuberg oberhalb des Donautals bei Donaustauf.
Dort nun thront sie majestätisch über dem Donautal: ein klassizistischer Prachtbau aus Kelheimer Kalkstein, benannt nach Walhall, dem Ruheort der gefallenen Krieger in der nordischen Mythologie, entworfen nach dem Parthenon auf der Athener Akropolis. Das Dach besteht allerdings aus einer modernen Eisenkonstruktion, die von 52 Säulen getragen wird, jede neun Meter hoch. Die Baukosten beliefen sich auf vier Millionen Gulden (heute 82 Millionen Euro) – Ludwigs teuerstes Projekt.
358 Stufen muss der Gast vom unteren Parkplatz aus (es gibt auch einen zweiten mit kürzerem Gehweg) erklimmen, bevor er das imposante Eingangsportal aus deutschen Eichen, jeder Türflügel 42 Zentner schwer, erreicht. Dahinter erstreckt sich eine weite, mit edlem Marmor ausgekleidete Halle. Auge in Auge steht man 131 Büsten gegenüber, liest 65 Gedenktafeln. Ein Schnelldurchlauf durch die deutsche Geschichte, der noch lange nicht zu Ende ist: Seit 1962 kommen immer wieder neue Büsten hinzu.
Zahlreiche Komponisten-Büsten
Erste Büsten hatte Kronprinz Ludwig bereits 1807 in Auftrag gegeben, lange vor seinem Regierungsantritt 1825. Die Ehrung mancher Musiker war ihm besonders wichtig, wie 1810 die von Joseph Haydn, der in der Walhalla als „Joseph Heyden, Doctor der Tonkunst“ firmiert. Ihm folgten Christoph Willibald Gluck (1812), Georg Friedrich Händel (1815). Andere kamen verdächtig spät hinzu wie J.S. Bach (1916) und Johannes Brahms (2000). Franz Schuberts Büste wurde erst 1928 aufgestellt, Carl Maria von Webers sogar 1978. Beethovens Marmorkopf kam 1866 dazu, fast zwanzig Jahre nach Ludwigs Abdankung im Revolutionsjahr 1848. Schopenhauer und Nietzsche fehlen. Wie auch Gustav Mahler.
Die Büsten selbst spiegeln den Geschmack der Zeit und die Wahrnehmung, die nicht selten mit der Realität wenig gemein hat. Verklärt auf edel getrimmt etwa wirkt die Büste von Anton Bruckner von 1937, ganz im heiligen Pathos gemeißelt, welches Hitler wohl für seine Musik empfand – wie ein Foto mit dem andächtig blickenden Führer zeigt. Albert Einstein wirkt dagegen wie eine Witzfigur aus weißem Wachs und hätte einen begabteren Bildhauer verdient. Doch allzu realistisch durfte dieser auch nicht arbeiten, wie das Beispiel Antoine Houdons zeigt. Seine realistische Büste von 1780 von Christoph Willibald Gluck ließ den Walhalla Bildhauer Johann Georg von Dillis schreiben: „Von Gluk habe ich eine Büste von Houton nach der Natur verfertigt aus Paris erhalten. Diese ekelte mich an, da dieser Künstler die Natur so arm aufgenommen hat, sie ist sehr ins französische übersezt ist aber mit Verdienst gemacht und man sieht daraus, wie unangenehm es dem Auge vorkommt, wenn der Bildhauer die Mahlerey nachahmen will. […] ich gab meinem Model einen andren Ausdruk, als Houdon, ich suchte ihn vorzustellen, wie er einen accord ergreift und über den Wohlklang entzükt ist.“
Nicht Dillis, sondern Johann Heinrich Dannecker bekam den Walhalla-Zuschlag, wohl weil er aus Houdons pockennarbigem Komponisten mit derangiertem Hemd eine erhabene und edle Figur schuf. Nahe am wirklichen Aussehen Mozarts war wohl auch die Büste des Zürcher Bildhauers Heinrich Keller, die heute in der Münchner Residenz zu sehen ist. Etwas füllig im Gesicht mit wenig individuellen Zügen. Bereits der Witwe Constanze hatte das Porträt, nach dem Keller gearbeitet hatte, nicht gefallen. Ein weiterer Bildhauer am Walhalla-Hofe, Konrad Eberhard, unterbreitete dem Kronprinzen Ludwig 1812 den Vorschlag, die Büste nochmals zu überarbeiten: „Unterthänigst wage ich einiges Euer Königlichen Hoheit wegen der verfertigten Büste Motzarts von Keller, anzumerken, nemlich ich getraute mit wenig mühe noch vieles an dieser zu verbessern, die Ähnlichkeit im Gesicht scheint mir sehr gut, nur sind die Baken und an dem Kin noch zu sehr aufgeblasen, und scheinen geschwollen, dieses mußte mit mehr Fläche bearbeitet werden, dan der Mund schärfer und die Hare geschmakvoller […]“. Den Geschmack Ludwigs schien allerdings erst Ludwig Schwanthaler zu treffen, der eine Büste 1846 fertigstellte. Sie zeigte den Musiker in mittlerem Alter, zeitlos idealisiert. Wellig, ungeordnet liegt das Haar, die Pupillen sind geritzt, als blicke Mozarts mit Augensternen zu Himmel.
Vorschläge willkommen
Für die meisten Walhalla-Büsten zahlte Ludwig ein Honorar von 50 Louis d’or, darin alle Material- und Transportkosten enthalten. Ein teurer Spaß für die Künstler, wenn bereits das Rohmaterial, kostbarer Marmor aus Carrara, 11 Louis d’or kosten konnte. Heute kann jeder Bürger eine Persönlichkeit vorschlagen, die allerdings mindestens zwanzig Jahre tot sein muss. Auch muss er die Kosten übernehmen, wenn der Sachverständigenrat zustimmt. Richard Strauss hatte sehr spendable Fans. Ganze 23 Jahre nach seinem Tod war das Geld für die Büste zusammen. Auch Wagner musste nur dreißig Jahre warten. Über ein Vierteljahrhundert hingegen wurde über die Kosten der Heine-Büste gestritten, die erst 2010 aufgestellt wurde.
Noch im vorigen Jahrhundert konnte man den Ehrentempel über das „Walhallabockerl“ erreichen, einer Bahn, die von Regensburg nach Donaustauf bis zur Walhalla fuhr. Mit zunehmendem Straßenverkehr wurde sie 1960 eingestellt. Heute kann man per Schiff ab der Anlegerstelle Steinerne Brücke (Regensburg) oder mit dem Bus 5 von Regensburg zur Walhalla fahren. Zu Fuß geht es, an Kruzifixen vorbei, hinauf, etwa dreißig Minuten lang. Entlang der Donau befindet sich ein sehr gut ausgebauter Radweg mit nur geringen Steigungen. Nur die letzten Kilometer sind anstrengend. Der Blick auf die Donau mit ihren weiten Auen entschädigt für die Strapazen. An klaren Tagen sind einige Berge des vorderen Bayerischen Waldes mit dem Bogenberg sowie Straubing am Horizont zu erkennen; an seltenen Föhntagen sogar die Spitzen der Berchtesgadener Alpen im Südosten.
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