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Musikalische Spurensuche: West

„Mein Vaterland die schöne Gegend“

Mit Beethoven im Siebengebirge.

vonMichael Struck-Schloen,

Auf dem schmalen „Bittweg“ vom Kloster Heisterbach hinauf zur Wallfahrtskapelle auf dem Petersberg sollte man eigentlich die Hymnen und Heiligenlitaneien im Kopf haben, mit denen einst die Heisterbacher Mönche ihre Prozessionen begleiteten: Heiliger Sankt Peter, bitte für uns … Aber in diesem Jahr stiehlt ein weltlicher Heiliger den mittelalterlichen Figuren die Schau: Ludwig van Beethoven, der gebürtige Bonner, hält trotz aller Corona-Absagen beim Mammutprojekt „BTHVN 2020“ die Leute am Rhein in Atem. Und hinterlässt auch in der Landschaft seine Spuren.

In liebevoller Planungs- und Markierungsarbeit wurde in den letzten Monaten ein „Beethoven-Wanderweg“ durchs Siebengebirge angelegt ‒ dem größten zusam­menhängenden Naturschutzgebiet von Nordrhein-Westfalen, das mit seinen lyrischen Bergkegeln, bizarren Basaltfelsen und der markanten Drachenfels-Ruine schon immer die Herzen der Romantiker höher schlagen ließ. Vom Miniatur-Mittelgebirge hat man berückende Ausblicke auf Bonn, Bad Godesberg, die Rheininsel Non­nenwerth oder Rhöndorf, wo Konrad Adenauer im Alter Rosen gezüchtet hat. Lange war das Siebengebirge das Naherholungsgebiet für die Kölner und Bonner Bevölke­rung, die Hitze, Gestank und Arbeitsstress für ein Wochenende gegen Tanzkaffee, entschleunigende Wanderungen oder Eselsritte zum Drachenfelsen tauschen wollte. Die Esel haben ausgedient, aber es gibt noch eine Zahnradbahn mit Wagen aus den sechziger Jahren: Im Schneckentempo fährt sie zum leicht angestaubten Ensemble aus Weinschenken, einer „Nibelungenhalle“ mit Wagner-Devotionalien und der zinnenbekrönten Drachenburg aus dem 19. Jahrhundert, um zuletzt unterhalb der Ruine in atemberaubender Höhe zu enden.

Beethovens Landpartien

Beethoven hat von diesem Tourismusbetrieb natürlich nichts geahnt. Zu seiner Zeit war das Siebengebirge eine wilde Landschaft mit Steinbrüchen, in denen Basalt für den Straßenbau abgeschlagen wurde. Überhaupt sind Beethovens Wiener Land­partien weitaus besser dokumentiert als seine Ausflüge in die Bonner Umgebung. Als Kind soll er stundenlang auf dem Dachboden gesessen haben, um mit einem Fernrohr den Rhein und das Siebengebirge zu beobachten. Andererseits ist schwer vorstellbar, dass ein junger Hofmusiker, der für seinen alkoholsüchtigen Vater und die Familie aufkommen musste, Zeit für ausgedehnte Wanderungen hatte. So blieb wohl nur die Sehnsucht, das einmal nachzuholen, wie er aus Wien an seinen Bonner Jugendfreund, den Geburtskundler Franz Gerhard Wegeler, schrieb: „mein Vaterland die schöne Gegend, in der ich das Licht der Welt erblickte, ist mir noch immer so schön und deutlich vor meinen Augen, als da ich euch verließ, kurz ich werde diese Zeit als eine der glücklichsten Begebenheiten meines Lebens betrachten, wo ich euch wieder sehen und unsern Vater Rhein begrüßen kann.“

Aussichtsplateau auf dem Drachenfels
Aussichtsplateau auf dem Drachenfels

Malerische Steinkreuze säumen den „Bittweg“ auf den Petersberg, den steils­ten Abschnitt des ansonsten kinder- und rentnerfreundlichen Beethoven-Wander­wegs. Die barocke Peterskapelle auf dem Gipfel, in der sich Michael Schumacher trauen ließ, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts von einem Hotel verschattet. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg eröffnete hier der Duftwasserbaron Ferdinand Mülhens („4711“) ein grandioses Kurhotel, das nach dem Zweiten Weltkrieg Sitz des alliierten Hochkommissars war und später als Gästehaus der Bundesregierung diente ‒ eine moderne Burg mit malerischem Biergarten, in dem der lokale, recht bodenständige Weißwein aus einem der nördlichsten Anbaugebiete Deutschlands ausgeschenkt wird. Ludwig van Beethoven musste sich bei eventuellen Aufstiegen zur Peters­kapelle Brot und Weine noch selbst mitbringen.

Ohne retortenhaftes Styling

Die Richtung zu weiteren Etappen des Beethoven-Wanderwegs weist ein janusköpfiges Symbol mit dem Gesichtsprofil des Komponisten auf der einen Seite und einem großen B aus der anderen, auf Bäume gemalt oder in Basaltquader gemeißelt. Hin und wieder weisen Infotafeln auf Kuriositäten hin, die mit Beethoven meist wenig zu tun haben. Das idyllische, an Wochenenden meist überfüllte Nachtigallental, die Drachenfels-Ruine, das „Milchhäuschen“, ein uriger Ort für Kuchenschlachten ‒ solche Wegmarken verleihen dem Siebengebirge seit Jahrzehnten den Charme einer liebenswürdigen rheinischen Ausflugsregion ohne retortenhaftes Styling. Einen Beethoven-Wanderweg brauchte es eigentlich nicht, weil man den Komponisten ohnehin als kulturelles Alleinstellungsmerkmal in sich trug.

Aber die Ausschlachtung von Alleinstellungsmerkmalen gehört nun einmal zur Grundregel der Tourismusindustrie. Dennoch hätte man sich am Wegesrand ein paar Ausführungen zu Beethovens Beziehung zur Natur gewünscht, das dem leiden­schaftlichen Spaziergänger wichtig war und in der Pastoralsinfonie künstlerischen Ausdruck fand. Wie der „gestirnte Himmel über uns“ bedeutete ihm die blühende, aber auch die wilde Natur ein Stück Freiheit als Alternative zum beengten städtischen Leben und der Erfahrung von Krieg und Krankheiten. „Ach Gott, blicke in die schöne Natur und beruhige Dein Gemüt über das Müssende“, schrieb Beethoven im Brief „an die unsterbliche Geliebte“, einem ebenso mysteriösen wie zentralen Dokument seines Verhältnisses zur Umwelt. Dieses Verhältnis ein bisschen zu erhellen, wäre sicher eine lohnende Aufgabe gewesen, um im schönen Siebengebirge nicht nur die Füße, sondern auch den Geist ein bisschen zu beschäftigen.

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