Das Erbe der deutschen Musik wird von Namen wie Händel, Bach und Beethoven angeführt. Als ihren Vater jedoch darf man Heinrich Schütz bezeichnen. Er wirkte fast 40 Jahre lang als Hofkapellmeister in Dresden und hob das Niveau der europäischen Musik auf ganz neue Höhen. Er schuf Instrumental- und Vokalmusik von schwermütiger Schönheit und unterlegte letzterer keine lateinischen – wie bis ins 17. Jahrhundert üblich –, sondern deutsche Verse, so dass die Texte auch für ungebildete Menschen verständlich waren. Angesichts der atemberaubenden Karriere, die Schütz als Musiker machte, verblüfft es, dass er aus einfachen familiären Verhältnissen stammte. Die Geschichte seiner Entdeckung klingt wie aus einem Hollywood-Drehbuch entlehnt.
Anno 1598 unterhielt der zwölfjährige Heinrich im väterlichen Wirtshaus den Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, der dort auf der Durchreise übernachtete, mit seinem Gesang. Der edle Herr war dermaßen beeindruckt von der hellen, klaren Stimme des Knaben, dass er den Eltern anbot, ihren Sohn zu fördern – ein ungewöhnliches Ansinnen in Zeiten strikter Trennung von Adel und Bürgertum. So siedelte der junge Heinrich Schütz in die höfische Residenzstadt Kassel um und erhielt mit 23 Jahren ein Stipendium für einen zweijährigen Studienaufenthalt in Venedig, wo er sich mit allen seinerzeit bekannten musikalischen Gattungen vertraut machte. Mit 32 Jahren wurde Schütz vom Kurfürst Johann Georg I. zum Hofkapellmeister in Dresden berufen, dem damaligen Zentrum des deutschen Protestantismus.
Zum 350. Todestag des Komponisten loten „Nico and the Navigators“ mit ihrem szenischen Projekt „Fleisch & Geist“ das Spannungsverhältnis zwischen himmlischen Glauben und irdischem Begehren in Schütz’ Musik aus. Dabei werden auch jene Texte berücksichtigt, die Schütz und seine Zeitgenossen ihren geistlichen und weltlichen Werken zugrunde legten. War der frühbarocke Meister wirklich ein so disziplinierter und enthaltsamer Künstler, wie die wenigen bekannten Details aus seinem Privatleben es nahelegen? Das Berliner Theaterkollektiv nähert sich dieser Frage mit Musik, Tanz, Gesang und Sprache in einem „Musiktheater zwischen Andacht und Begehren“, das die historisch informierte Aufführungspraxis unter ganz neuen Vorzeichen betrachtet.