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Interview Patrick Hahn

„Und dann sollen die auch noch leise sein?“

Der blutjunge Wuppertaler GMD Patrick Hahn zeigt am Pult viel Einfühlungsvermögen – für die Musik, aber auch für die Musiker.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Patrick Hahn ist der jüngste Generalmusikdirektor im deutschsprachigen Raum, dirigierte 2019 die Symphoniker Hamburg und war damit der jüngste Dirigent im großen Saal der Elbphilharmonie. Mit zwölf schrieb er seine erste Oper. Doch der Schein trügt: Man hat es hier keinesfalls mit einem inzwischen erwachsenen Wunderkind zu tun, der noch immer auf irgendwelche Rekorde schielt. Der heute 26-Jährige hat sich ganz bewusst für eine langsam und stetig wachsende Musikerkarriere entschieden.

Sie stammen aus Höf-Präbach bei Graz. In der Nähe wuchsen auch Arnold Schwarzenegger und Nikolaus Harnoncourt auf. Wer von den beiden hat Sie damals als Junge mehr beeindruckt?

Patrick Hahn: Das ist eine schöne Frage! Ich kannte natürlich beide aus der Ferne und es gab an beiden auch vieles zu bewundern. Obwohl meine Eltern nicht viel mit Musik zu tun hatten, haben wir alle Geschwister ein Instrument gelernt. Vom Volksschulchor ging es dann für mich zu den Grazer Kapell­knaben. Meine Eltern aber haben mich in keine Ecke gedrückt. Ich konnte mich in alle Richtungen ausprobieren, habe gesungen und auch komponiert …

… eine Fritatten-Oper.

Hahn: Ja! Die hieß tatsächlich Die Frittatensuppe, denn die Idee kam mir beim Löffeln einer solchen. Wir Jungs, ich war zwölf Jahre alt, saßen nach einem Auftritt in Mozarts „Zauberflöte“ mit unserem Chorleiter in einem Gasthaus. Und da dachten wir uns: Was Mozart kann, das können wir auch! So komponierte ich eine Oper mit allem was da so reingehört: Liebe, Drama, Eifersucht und Mord. Hochdramatisch, aber auch skurril.

Mit Ihnen auch als Protagonisten?

Hahn: Nein, ich war nicht involviert. Ich war allerdings bei der Uraufführung damit beschäftigt, alle Ausführenden zusammenzuhalten, denn ich habe das Ganze „dirigiert“, um es etwas euphemistisch auszudrücken. Ich stand zum ersten Mal am Pult. Ich hatte Blut geleckt.

„Oh! Sakramentsverfluchter Bub, nit trocken hintern Ohr und fuchtelt mitn Spadi“, schimpft Baron Ochs auf Lerchenau im Rosenkavalier von Richard Strauss. Wie verschafft man sich als junger Mann Respekt vor einem Orchester?

Hahn: Ich hatte nie ein Problem damit. Ich habe die Erfahrung gemacht: Je mehr ein Orchester und dessen Musikerinnen und Musiker mit sich selbst im Reinen sind, umso weniger Probleme haben sie mit dem Dirigenten, egal wie alt der ist. Als ich mit 22 Jahren die Münchner Philharmoniker zum ersten Mal dirigierte, dachte ich mir: Die werden mich zerreißen, diesen Buben vom Dorf. Schließlich wird es wohl keinen großen Dirigenten auf der Welt geben, der nicht mit diesem Orchester musiziert hat. Doch es war eine sehr herzliche, professionelle Stimmung, und schließlich blieb es ja nicht nur bei diesem einen Male. Der Bonus des Wunderkindes währt jedoch nur kurz.

Das erlebte bereits Mozart.

Hahn: Allerdings! Die Orchester­musiker merken auch sofort, wenn man versucht, jemanden zu imitieren oder zu kopieren. Je jünger man ist, umso anfälliger ist man dafür. Ich kann mich an einen Meisterkurs mit Bernard Haitink erinnern. Die erste Brahms-Sinfonie stand auf dem Programm, Haitink kam und schaute in die Runde. Obwohl er augenscheinlich wenig machte, war er so präsent! Und dann dieser Klang! Das war so interessant! Wenn ich nun genau Haitinks Gestik übernehmen würde, würde bei mir nichts passieren, denn eine Aura, das, was der Mensch nonverbal aussendet, ist einzigartig.

Sie sagten in einem Interview auch, dass man ein bisschen narzisstisch veranlagt sein müsste, um sich vor ein Orchester zu stellen.

Hahn: (lacht) Ja, da muss man wohl ehrlich bleiben. Wir Dirigenten haben zudem manchmal das Problem, dass wir uns zu sehr in die Musik – und in weitere Folge dann auch in uns selbst – verlieben. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Dirigenten, der nur seine Haare durch die Luft wirbelt und Show macht. Der Dirigent selbst soll nicht allein die Musik genießen oder an ihr leiden, sondern das Publikum. Dazu muss er eine ihm eigene Zeichensprache entwickeln, die das Orchester versteht und umsetzt.

Möchte nicht, dass jeder seine Schritte ­hyänenhaft beobachtet wird: Patrick Hahn
Möchte nicht, dass jeder seine Schritte ­hyänenhaft beobachtet wird: Patrick Hahn

Von dem österreichischen Dirigenten und Geiger Josef Krips ist die Bemerkung überliefert, dass Musik eine aristokratische und keine demokratische Kunst sei.

Hahn: Ein typischer K.-u.-k.-Satz. Also aristokratisch ist die Dirigierkunst keineswegs mehr. Aber demokratisch war sie nie. Vielleicht in speziellen kleinen Ensembles, wo man die Zeit und die Ressourcen hat, stundenlang über zehn Minuten Musik diskutieren zu können. Es wäre auch nicht zielführend. Denn auch wenn jeder Musiker eine Idee hätte, wie das Stück klingen soll, irgendwann muss eine Entscheidung getroffen werden. Das ist die Aufgabe des Dirigenten. Heute ist der Umgangston richtigerweise nicht mehr so rau, an der Grundfunktion des Dirigenten aber hat sich wenig geändert.

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wollte man sogar ganz auf den Dirigenten verzichten.

Hahn: Mozart kann man durchaus ohne Dirigenten machen, aber Mahler, Bruckner, Wagner? Wo kaum ein Musiker den anderen sieht? Übrigens: Wenn man den Dirigenten abschafft, dann verlagert man dessen Aufgaben einfach, und zwar auf den Konzertmeister. Irgendeiner muss ja das Signal geben, damit alle gemeinsam anfangen.

Behandeln Sie die Instrumentengruppen unterschiedlich? Sie lächeln …

Hahn: … ich überlege gerade. Der Unterschied ist: Die Geiger treten ja im Gegensatz etwa zu Bläsern in größeren Gruppen auf. Das können bei den Ersten Geigen allein auch schon mal achtzehn Menschen sein! Und wenn man die um etwas bittet, dann hat man eine weniger persönliche Ebene wie etwa bei einem Hornisten oder Oboisten. In der Gruppe fällt es auch nicht gleich auf, wer da nicht geübt hat. Aber bei den Bläsern schon. Es gibt auch den schönen Spruch von Richard Strauss: „Schaut bloß nicht auf die Posaunen nach hinten, das stachelt sie noch mehr an!“ Das stimmt ein bisschen, zumal sie oftmals den kürzesten Auftritt haben. Zehntausende Töne spielen die Streicher statistisch pro Konzert, und das Blech vielleicht tausend. Auf das Schlagwerk kommen im Grenzfall vielleicht überhaupt nur zehn. Und dann sollen die auch noch leise sein? Ein bisschen ungerecht ist das schon, und ich kann verstehen, wenn man mal draufhauen und nicht immer nur zuhören will.

Seit der Spielzeit 2021/22 sind Sie Generalmusikdirektor der Wuppertaler Bühnen, der jüngste, den es je gab.

Hahn: Ich hatte gar nicht nach einer Stelle gesucht, sondern war zufrieden und ausgelastet. Doch dann kam der Auftritt in Wuppertal. Ich kam dorthin ohne Erwartungen und zudem mit Beethovens Fünfter, einer Sinfonie, die gefühlt jeder in- und auswendig kennt. Das Orchester war allerdings so motiviert und auf so hohem technischem Niveau. Ich war ganz erstaunt! Doch nicht nur das. Die Wuppertaler haben so einen großartigen Konzertsaal, die historische Stadthalle ist eine der besten und schönsten und prächtigsten Säle, die es gibt! Hier sind Bernstein und Karajan ein- und ausspaziert! Und dann haben sie mich gefragt, ob ich GMD werden will. Ich fand das sofort wunderbar, weil ich mich mit dem Orchester so gut verstanden habe, dann dieser Saal und auch der Umstand, dass man nicht so in der allerersten Reihe steht, man in Ruhe arbeiten kann. Meine erste Chefstelle muss jetzt nicht in München sein, wo man weit mehr beobachtet wird. In Wuppertal kann ich künstlerisch auf ausgezeichnetem Niveau arbeiten, und dennoch wird nicht jeder meiner Schritte hyänenhaft beobachtet.

Im März geben Sie in der Oper Ihren Einstand mit Wagners Tannhäuser …

Hahn: … und dann werden wir das Vorspiel aus „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss und „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók aufführen. Und noch viel, viel mehr.

„Das dankbarste Publikum“, sagen Sie an einer Stelle, erlebten Sie in ihrem Heimatdorf im Pflegeheim Laßnitzhöhe, wo Sie bereits als kleiner Junge am uralten Flügel kleine Konzerte für Patienten spielten.

Hahn: Das tue ich übrigens immer noch, Operetten, Schlager, alles Mögliche. Wenn man sieht, wie die achtzigjährige Oma sich freut, wenn man den Schlager „Bel Ami“ spielt oder Schuberts „Lindenbaum“, dann ist man wirklich gerührt. Einmal kam eine fast Hundertjährige und hat sich vor das Klavier gestellt und „Am Brunnen vor dem Tore gesungen“, als gäbe es kein Morgen mehr. Das war so schön! Das ist der schönste Dank.

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