Dieses Stück muss man sehen, nicht bloß hören. Alleine schon der Einsatz des vielfältigen Schlagzeugapparats in Tan Duns „The Tears of Nature“ ist ein Ereignis. Zum Soloschlagzeug kommen im Orchester weitere Perkussionisten hinzu. Die Musiker bewegen sich bei der Aufführung mitunter wie bei einem Ritual. Mit beispielsweise Steinen, Marimba, Vibraphon, Gongs, chinesischen Becken, Pauken, Woodblocks, Regenrohr, Bambusröhren, Klangschalen und auch tropfendem Wasser – für Tan Dun „die Tränen der Natur“ – wird ein raumgreifendes, eindrucksvolles Klagelied mit Blick auf Katastrophen aus der jüngeren Vergangenheit angestimmt. Die Musik enthält Referenzen an Strawinskys „Sacre“, Zitate aus chinesischer Folklore, pulsierende Rhythmen, Schlagzeuggewitter, Klangflächen und Geräuschhaftes, aber auch Bigband- und Musicalanklänge.
Seit der Uraufführung 2012 in Lübeck ist das Konzert zu einem Klassiker unserer Tage avanciert. Tan Dun, Jahrgang 1957, hat in seiner Kindheit die Klänge des ländlichen Südchina aufgesogen, erlebte aber auch jung das Trauma der Mao-Diktatur. Heute lebt er in New York. Sein ukrainischer Kollege Myroslaw Skoryk litt als Kind unter dem Terror des Stalinismus, die Familie wurde nach Sibirien deportiert. Nach Stalins Tod wurde er zu einem der bedeutendesten ukrainischen Komponisten. In seinem Karpatischen Konzert hat er Klänge der Ukraine eingefangen.