Es schien so, als ob Richard Strauss mit seinem umfangreichen Schaffen zufrieden gewesen sei. Mit 77 Jahren, nach der Vollendung seiner Oper „Capriccio“ im August 1941, verkündete er seinen Abschied als Komponist. Zudem war seine Gesundheit nicht mehr die beste, Kuraufenthalte prägten sein spätes Leben. Dennoch machte er sich 1949 nochmals ans Werk, da ihn ein Gedicht von Hermann Hesse nicht losließ. Es sollte zunächst ein Lied für Sopran solo und Orchester werden. Auf die Anfrage seines Verlegers änderte er dann letztlich die Besetzung, aus dem Solosopran wurde ein Chor. Umfangreiche Skizzen führten ihn bis kurz vor die Niederschrift der endgültigen Partitur. Strauss konnte die Arbeit nicht vollenden, er starb im September 1949.
Intensive Recherche und traditionelles Handwerk
Der Berliner Komponist und Dirigent Thomas Hennig hat das Werk nach dem Fragment im vergangenen Jahr vervollständigt. „Besinnung“ feiert nun in der Berliner Philharmonie mit dem Berliner Oratorien-Chor und den Berliner Symphonikern seine Uraufführung. „Es galt zunächst, die Recherche in den Quellen intensiv zu beginnen, in die Handschrift hineinzukriechen, um doch noch etwas zu finden, was einen Fingerzeig geben könnte“, erläutert Hennig seine Arbeit. „Daneben musste ich mich in die Stilistik des späten Strauss hineinversetzen, eben viele Werke der letzten Arbeitsphase genau studieren, sowohl verschiedene Satztechniken der Komposition wie auch insbesondere die spezifische Handschrift der Instrumentation.“ Immerhin achtzig Prozent der nun fertigen Partitur könne man den Skizzen und Hinweisen von Strauss zurechnen, „wobei man schon erwähnen muss, dass Stimmführungen im Chor, Textverteilung, die orchestrierte Begleitung und die Instrumentierung weitgehend unausgeführt blieb.“
Seine Aufgabe sah Hennig eher darin, als „Sachbearbeiter des Komponisten“ zu wirken, was ein wenig nach Tiefstapelei klingt, aber auch Demut und die Wertschätzung von musikalischem Handwerk signalisiert. „Für einen zeitgenössischen Komponisten ist es sicher ungewohnt, sich einmal in die zweite Reihe zu stellen“, gesteht er. „Dabei ist es eigentlich ganz nützlich, als Komponist auch einmal das zu tun, was seriöse musikalische Interpreten alltäglich machen.“ Auch deshalb begegnet er dem aktuellen Wiederauferstehungskult, ganze Sinfonien mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu rekonstruieren, mit Skepsis. „Musik ist eine durch und durch humane Ausdrucksweise, eine menschliche Sprache“, betont er. Große fragmentarische Lücken ließen sich nicht so einfach schließen. Seine Vervollständigung der letzten Komposition von Richard Strauss dauert etwa zwölf Minuten in der Aufführung.