Der Jahreswechsel ist eine Zeit des Rück- und Vorausblicks. Eine Zeit, Bilanz zu ziehen, Dinge hinter sich zu lassen und mit frischen Hoffnungen und guten Vorsätzen den verlockenden Raum der Utopie auszuleuchten. Welches musikalische Werk könnte diesbezüglich tiefer empfundene, drängendere Impulse setzen als Ludwig van Beethovens neunte Sinfonie? Ein Werk, mit dem in etlichen Konzertsälen das alte Jahr verabschiedet und das neue jubilierend begrüßt wird. So auch beim Silvesterkonzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin im Konzerthaus. Die völker-verständigende Botschaft nimmt der russische Chefdirigent Vladimir Jurowski ernst, indem er nach dem zweiten Satz die ukrainische Dirigentin Natalija Ponomartschuk ans Pult bittet, um das Adagio und die „Ode an die Freunde“ mit dem Rundfunkchor Berlin sowie einem internationalen Sängerteam aus Schweden, Polen, Großbritannien und Deutschland zu dirigieren. Zuvor eröffnet die Uraufführung eines sinfonischen „Prologs“ für Mezzosopran und Orchester von Ralf Hoyer eine neue Hörperspektive auf Beethovens Opus magnum.
Klagegesänge und hymnischer Glanz
Im Namen der Freiheit komponierte auch Georg Friedrich Händel sein Oratorium „Judas Maccabaeus“, mit dem der RIAS Kammerchor und die Akademie für Alte Musik unter Dirigent Justin Doyle in der Philharmonie das neue Jahr begrüßen. Die Geschichte um den titelgebenden jüdischen Freiheitskämpfer wird zum Anlass ergreifender Klagegesänge, zeremonieller Würde und hymnischen Glanzes – ein Werk, das mit einer Fülle musikalischer Höhepunkte aufwartet.
Höhepunkte auch in artistischer Hinsicht verspricht das traditionelle Zusammentreffen des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin mit den Akrobaten des Circus Roncalli. Fast zehn Jahre ist es her, dass das Tempodrom seinen Silvestertermin versehentlich sowohl an das DSO als auch an den Zirkus vergab. Die Not machte erfinderisch, und beide Institutionen beschlossen, ein gemeinsames Programm auf die Bühne zu bringen. Der große Erfolg forderte die alljährliche Wiederholung dieser mitreißenden Kombination aus Live-Musik und zirzensischen Darbietungen geradezu ein. Wenn Zirkusdirektor und Clown Bernhard Paul mit seinem internationalen Spitzenensemble bei zwei Silvester- und einem Neujahrskonzert die Manege betritt, kolorieren Dirigent John Wilson und seine Musiker die grenzenlose Wunderwelt der Artistik mit den Klangfarben der Orchesterinstrumente.
Musikalische Wundertüten und Klänge großer Meister
Ein Fest sprühender Farben erwartet auch die Besucher des Nikolaisaals in Potsdam, wenn das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter Jörg-Peter Weigle beim Neujahrskonzert eine musikalische Wundertüte rund um die Zeit der K.-u.-k.-Monarchie öffnet. Melodien von Franz von Suppé, Josef und Johann Strauss jr. sowie Vittorio Monti treffen auf Antonín Dvořáks „Slawische Tänze“, George Enescus erste „Rumänische Rhapsodie“ und Maurice Ravels „Tzigane“. Hier wie auch in Fritz Kreislers „Liebesleid“ und „Liebesfreud“ rundet Solistin Tianwa Yang das Konzert mit geigerischer Leidenschaft ab, während Comedy-Queen Gayle Tufts als Moderatorin mal wieder kein Blatt vor den Mund nimmt.
Etwas förmlicher geht es in der Großen Orangerie von Schloss Charlottenburg zu, wo das Berliner Residenz Ensemble und Gesangssolisten unter der Leitung von Alexandra Rossmann am Silvesterabend zu einem musikalischen Feuerwerk laden. Im ersten Konzertteil bringt das historisch kostümierte Orchester Werke von Vivaldi, Händel, Bach und Mozart zum Funkeln, während im zweiten Teil die schönsten Melodien aus Walzer und Operette auf dem Programm stehen. Einen Tag später begrüßt das Residenz Ensemble am selben Ort das neue Jahr mit festlichen Klängen großer Meister.