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Opern-Kritik: Staatsoper Hamburg – Ariadne auf Naxos

Familienfeier mit tödlichem Ausgang

(Hamburg, 26.1.2025) Mit „Ariadne auf Naxos“ liefert Dmitri Tcherniakov einen angemessenen Abschluss seiner Hamburger Strauss-Trilogie.

vonAndré Sperber,

„Unerläßlich ist die Andeutung, daß hier ein Spiel im Spiele, eine Bühne auf der Bühne gemeint sei“, schrieb Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss’ Lieblingslibrettist, in die Aufführungsanweisungen der „Ariadne auf Naxos“. Das Werk ist nach „Elektra“ und „Der Rosenkavalier“ das dritte von insgesamt sechs Gemeinschafts-Opernprojekten des legendären, hoch erfolgreichen Opernduos Hofmannsthal-Strauss. Der spezielle Clou darin, die besondere Idee, die Hofmannsthal bei der Arbeit an dem Stück so faszinierte – Strauss zeigte sich dagegen eher zurückhaltend –, war die geschickte Verknüpfung zahlreicher Kontraste: Komödie versus Opera seria, Unterhaltung versus Ernste Musik, niedere versus hohe Kunst, Gegenwart versus Antike. 

Alles wird miteinander verwoben, wenn bei der Laienaufführung in den Gemächern des reichsten Mannes in Wien eine tragische Oper und ein heiteres Tanzstück – natürlich unter Protest (fast) aller Beteiligten – auf Wunsch des Herrn spontan zusammengelegt werden, damit um neun Uhr das Feuerwerk pünktlich beginnen könne. – Der amüsante Prolog beschreibt eben jene Rahmenhandlung, das kurzerhand umgedichtete Mischbühnenstück bildet dann den Hauptteil der Oper als „Spiel im Spiele“, mit „Bühne auf der Bühne“. So jedenfalls hat es Hofmannsthal einst vorgesehen. 

Fernab aller Mythologie

Regisseur Dmitri Tcherniakov wirft dies alles kurzerhand über den Haufen. Wie schon in seinen vorangegangenen Hamburger Strauss-Inszenierungen, der gefeierten „Elektra“ sowie der umjubelten „Salome“, die beide in einem ähnlichen Setting vonstattengingen, entpuppt sich auch „Ariadne“ als fein ausgeklügeltes Familiendrama. Fernab allen künstlichen Theaters, fernab aller Mythologie, sondern nahbar und real. 

Szenenbild aus „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg

Zum Abschluss seiner Strauss-Trilogie befinden wir uns abermals in den bekannten Räumlichkeiten einer herrschaftlichen Altbauwohnung, diesmal farblich umrahmt von preußisch blauen Wänden mit Goldakzenten. Hier wird heute muntre Silberhochzeit gefeiert. Das glückliche Paar: Ariadne und Theseus. 

Tcherniakov knüpft Familienbande

Tcherniakov ändert von vornherein die Verhältnisse: Theseus, der im Original gar nicht in persona vorkommt, ersetzt nun die Rolle des Haushofmeisters, der selbst als Gastgeber auftritt. Fernseh- und „Tatort“-Schauspieler Wolfram Koch spielt die Sprechrolle pointiert und gewitzt. Weitere familiäre Verknüpfungen werden aufgedeckt: Der Musiklehrer ist Ariadnes Vater, Lebefau Zerbinetta ihre Cousine, Tenor Bacchus deren neuer Freund. Mit Najade, Dryade und Echo tauchen auch noch Tanten und weitere entfernte Verwandte auf. Die antiken Personennamen bleiben erhalten, alles andere deutet auf zeitlose Gegenwart. 

Szenenbild aus „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg

Das Tohuwabohu um die verkorkste Stückumkremplung im Prolog bietet vor allem dem als Hosenrolle angelegten Komponisten Gelegenheit, nicht nur ein schwelgerisch donnerndes Plädoyer für die Musik „als eine heilige Kunst“ abzugeben, sondern auch gesanglich erste erweckende Höhepunkte heraufzubeschwören: Sopranistin Ella Taylor gibt den kleinen, plumpen Romantiker mit wackerem Herzen und großer Stimme. Auch Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester finden währenddessen in der komplexen Partitur mehr und mehr zu einem dynamisch pulsierenden Strauss-Klang, der sich über den Abend immer weiter manifestiert und schließlich triumphal endet.

Emotionale Metamorphose

Sodann gelingt Dmitri Tcherniakov der regietechnische Kniff, der einen nahtlosen Übergang vom Vorspiel zur Oper ermöglicht, ohne den Absprung aus der Realität wagen zu müssen: Gastgeber Theseus erleidet mitten im Getümmel der Festivitäten vor aller Augen und unmittelbar vor der Aufführung des Stücks im Stück einen Herzanfall – und stirbt. 

Szenenbild aus „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg

Cut. Zeitsprung. Drei Monate später. Die Oper beginnt, ohne dass wir es merken, die Charaktere bleiben, wer sie sind. Ariadne, gerade noch lachend im Partydress, erscheint nun ganz in Schwarz als entkräftete Witwe. In tiefer Trauer um ihren Mann versunken, isoliert sie sich vom Leben. Die Wohnung, nun in kaltes Licht getaucht, ist trist und kahl. Eine öde, Naxos-gleiche Wüste. Mit tiefem, von Kummer erdrücktem, aber doch voluminösem Sopran verleiht Anja Kampe in der Titelrolle ihrem Leid Ausdruck und lässt das Publikum an ihrer emotionalen Metamorphose, ausgehend vom seelischen Abgrund bis hin zur Mut fassenden Erlösung, eindrucksvoll teilhaben. 

Als die Welt am Abgrund stand

Doch bis zur Erlösung ist’s ein langer Weg. So geben Cousine Zerbinetta und ihre vier Commedia-dell’arte-Begleiter (Björn Bürger, Florian Panzieri, Stephan Bootz und Daniel Kluge), die als Männerquartett ebenso schön harmonieren wie die drei schmelzend lieblichen Nymphen (Olivia Warburton, Aebh Kelly und Marie Maidowski), alles, um die trauernde Witwe Ariadne aufzumuntern. Zum Publikumsliebling des Abends mutiert dabei Nadezhda Pavlova als schillernd- und flirrend-lebendiges Soprangegenstück zur düsteren Ariadne. Während Zerbinettas in alle Richtungen der heiteren Sangeskunst sprühender Koloraturarie greift sie mühelos in luftige Höhen und erntet dafür donnernd-anhaltenden Szenenapplaus. Weniger auffällig – wie man es von Strauss’ Männerrollen kennt – ertönt der Tenor von Jamez McCorkle. Als Bacchus kann er – so hat es Zerbinetta eingefädelt – Ariadne schließlich helfen, über den Verlust ihres Mannes hinwegzukommen und wieder in den Kreis ihrer Familie zurückzufinden.  

Szenenbild aus „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Hamburg

Doch was als versöhnliches Ende erscheint, trügt angesichts dessen, was sich draußen außerhalb der Mauern abspielt: So verweist Tcherniakov im Schlussbild auf die Entstehungszeit der Oper, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs geschrieben wurde. Ein unmissverständlicher Verweis auf die Gegenwart, in der viele vor zunehmenden politischen Bedrohungen immer noch die Augen verschließen. Klug durchdacht, mit heiterer Oberfläche und tiefem Abgrund dahinter liefert Dmitri Tcherniakov einen angemessenen Abschluss seiner Hamburger Strauss-Trilogie.  

Staatsoper Hamburg
R. Strauss: Ariadne auf Naxos

Kent Nagano (Leitung), Dmitri Tcherniakov (Regie & Bühne), Elena Zaytseva (Kostüme), Gleb Filshtinsky (Licht), Wolfram Koch, Anja Kampe, Nadezhda Pavlova, Jamez McCorkle, Martin Gantner, Ella Taylor, Michael Heim, Peter Tantsits, Grzegorz Pelutis, Hubert Kowalczyk, Björn Bürger, Florian Panzieri, Stephan Bootz, Daniel Kluge, Olivia Warburton, Aebh Kelly, Marie Maidowski, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg






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