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Staatstheater Kassel: mein körper schwerelos

Wo befindet sich die Erinnerung?

Das Tanzstück „mein körper schwerelos“ sucht nach Bausteinen der Identitätsbildung.

vonDagmar Ellen Fischer,

Perfektes Premieren­datum: Am 29. April, dem Welttag des Tanzes, wird „my body falls lighter“ uraufgeführt. Was auch in der deutschen Übersetzung noch recht tanztechnisch klingt – „mein körper schwerelos“ – ist tatsächlich eher metaphysisch denn physisch gemeint: Maciej Kuźmiński, Jahrgang 1985, gehört zu einer jungen Generation mutiger Choreografen, die sich tatsächlich Neues (zu-)trauen. Der polnische Künstler unterstellt dem menschlichen Körper ein ähnlich gutes Gedächtnis wie dessen Geist, folglich sind biografische Erfahrungen hier wie dort eingeschrieben. Warum also nicht mal den Körper befragen, wenn es darum geht, unserer Herkunft auf den Grund zu gehen. Gibt es überhaupt so etwas wie die Identität eines Menschen? Und wenn ja, wie kommt sie zum Ausdruck? Dass ihn solch existenzielle Fragen interessieren, liegt nicht zuletzt an seiner Sozialisation: Aufgewachsen ist er in Polen, einem Land zwischen Ost und West, mit demokratischer und sozialistischer Vergangenheit. Früh suchte Kuźmiński das Weite und schaute über den heimatlichen Tellerrand, und inzwischen gingen seine Werke in mehr als zwanzig Ländern über die Bühne. Innerhalb weniger Jahre gewann er renommierte internationale Choreografie-Wettbewerbe und kreierte für Kompanien in Litauen, Ungarn, den Niederlanden und Polen. Seine choreografische Handschrift zeigt, dass Intellekt und Schönheit durchaus in Einklang zu bringen sind, und so gelingen ihm intensive Bilder von großer Kraft und Poesie.

Begleitet von „Schütteltanz“ einer religiösen Sekte

Für seinen jüngsten Abend wählte er Neue Musik aus. Vom estnischen Komponisten Lepo Sumera (1950–2000), einem Vorreiter der elektronischen Musik, nutzt er das siebenminütige sinnliche „Piano Piece from the Year 1981“ und verschiedene Sätze aus dessen Sinfonien. Außerdem lässt er sich von den „Shaker Loops“ John Adams’ inspirieren. Der US-Amerikaner komponiert „Minimal Music“, und im Titel dieses Werks klingt jene religiöse Sekte der „Shakers“ an, die ihre Sünden im berühmten „Schütteltanz“ los wurden. Lauter Pioniere also – das hätte dem Reformer Jean Georges Noverre gefallen, auf dessen neue Ideen zum Ballett der Welttag des Tanzes zurückgeht, der drei Tage nach der Uraufführung begangen wird.

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