Zunehmend zeichnet sich ab: Die Welt nach Corona wird eine andere sein. Gerade im Bereich der Kultur wird der plötzliche Shutdown hässliche Bremsspuren hinterlassen, die man mit einem behutsameren herunterfahren des Motors vielleicht hätte vermeiden können. An den 24 Musikhochschulen hierzulande jedenfalls ist die Lage prekär – und sie wird es auf längere Sicht auch bleiben. Soweit das Resümee der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen zum derzeitigen „Hybrid-Semester“, das mit einer Kombination aus digitaler Lehre und Präsenzlehre den derzeitigen Hygiene- und Abstandsregeln Rechnung trägt.
Keiner weiß, wie und wann es weitergeht
Ein unhaltbarer Zustand, dessen Ende nicht absehbar sei, erklärt Prof. Dr. Susanne Rode-Breymann, Präsidentin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und Vorsitzende der Rektorenkonferenz: „Zehn Quadratmeter pro Musiker sind vorgeschrieben. Wenn nur zwanzig Musiker gleichzeitig auf der Bühne sitzen dürfen, müssen wir fünf Durchläufe machen, damit hundert Musiker ihren Orchesterschein machen können. Dadurch entstehen große zeitliche Engpässe. In Hannover haben wir zudem einen Chorschwerpunkt, da weiß noch keiner, wie und wann das weitergeht.“
Die Ungewissheit der zukünftigen Entwicklung ist für die Studierenden auch psychisch eine große Belastung, das bekommt Rode-Breymann an ihrer Hochschule deutlich zu spüren: „Ich finde es unendlich falsch, dass wir derzeit den Weg ins Digitale als Königsweg betrachten. Wir schicken die jungen Menschen in die digitale Vereinzelung und betreiben eine Privatisierung des Unglücks.“ Studierenden und Lehrbeauftragten, die sich von zu Hause aus miteinander vernetzen sollen, steht zudem oft gar nicht das nötige technische Equipment zur Verfügung, um eine Unterrichtsstunde per Videokonferenz abzuhalten.
Die Lage wird sich vorerst kaum verbessern
Die Umstellung auf Hybrid-Unterricht ist zwar insgesamt erstaunlich gut gelaufen, räumt Rode-Breymann ein, doch der Präsenzunterricht sei unerlässlich. Zu Beginn des Lockdowns durfte sich nur ein Musiker im Raum aufhalten, inzwischen sind vier Studierende und ein Lehrender erlaubt. Im Bereich der Musiktheorie und -wissenschaften trifft man sich ergänzend zum digitalen Unterricht alle zwei bis drei Wochen in Kleingruppen an der Hochschule. Die Krux jedoch ist und bleibt das Musizieren in großen Gruppen: „Natürlich ist auch Kammermusik etwas sehr Schönes, aber wollen wir denn unsere europäische Orchestertradition verlieren? Das ist eine Horrorvorstellung. Dieses eine Semester bringt vielleicht noch keine Qualitätseinbuße, aber nach dem Wintersemester werden wir das anders betrachten“, sagt Susanne Rode-Breymann mit dem ernüchternden Ausblick, dass die derzeitige Lage sich in den nächsten sechs Monaten kaum verbessern wird. Es fehlen größere Räume und Geld.
Susanne Rode-Breymann: „Selbst bei Pest und Kriegen hat die Kultur nicht ausgesetzt“
Durch Corona sind die Kosten der Hochschule schon jetzt in die Höhe geschossen. Drei Reinigungsgänge pro Tag und weitere Hygienemaßnahmen schlagen in diesem Semester mit fast 100.000 Euro zu Buche. Da mutet die Zusage vonseiten des Kulturministeriums, dass die Zuwendungen in den kommenden vier Jahren nicht gekürzt werden, wie ein schlechter Witz an. „Das heißt für unsere Hochschule, dass wir in vier Jahren nicht mehr in dieser Form und Größe bestehen werden“: Nötig wären zusätzliche Finanzspritzen, um den Mehraufwand in der Lehre zu stemmen und all das nachzuholen, was jetzt ausfallen musste – Studienzeiten werden sich verlängern, ein Prüfungsstau steht zu befürchten.
„Aus meiner musikhistorischen Sicht bin ich immer noch völlig perplex. Es hat die Pest und Kriege gegeben, aber niemals hat die Kultur ausgesetzt. Aber jetzt denken wir als aufgeklärte, medizinisch potente Spitzenforschungsgeneration, dass wir nicht anders durch die Krise kommen, als alles lahmzulegen. Wir haben die komplexe Maschine der Kultur angehalten, und nun weiß keiner so richtig, wie man sie wieder zum Laufen bringen kann.“