Nicht nur die Mutter von Richard Strauss gehörte zu einer Brauerei-Dynastie. Auch Maria Anna, geborene Prantmayr, die Mutter des 1763 geborenen Komponisten Johann Simon Mayr entstammte einer schwäbischen Brauereifamilie. Von Friedberg bei Augsburg in das nördlich von Ingolstadt gelegene Mendorf folgte sie ihrem Mann, der als Organist und Dorflehrer der erste Musiklehrer des kleinen Simon wurde. Knapp 200 Jahre später erhielt dort der Sohn der Kinderbuchkünstlerin Lore Hummel den ersten Musikunterricht. Franz Hummel (geb. 1939) und der in Italien als Giovanni Simone verehrte Mayr (1763-1845) gehören zu den wichtigen Bühnenkomponisten ihrer Zeit.
Ein melodisches Mayr-Zitat setzte Hummel in seinem 2000 im Musical-Theater Neuschwanstein uraufgeführten und in der Spielzeit 2019/20 für das Theater Regensburg bearbeiteten Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“: Bevor sich Herzogin Sophie mit Edgar Hanfstaengl aus der Verlobung mit dem Märchenkönig und dem Stück hinwegtrollt, zitiert Hummel in der Paradies-Polka das Duett Creusas und Giasones aus Mayrs 1813 in Neapel uraufgeführter „Medea in Corinto“. Hummel selbst gibt das nicht zu, aber möglich ist vieles: Denn er und Mayr, der bis 1823 in freundschaftlicher Rivalität mit Rossini italienische Opern wie „Le due duchesse“ und „Alfredo il grande“ komponiert hatte, hatten beide Ursprungserlebnisse in der süddeutschen Volks- und Sakralmusik.
Bei Fahrradfahrern und Wanderern beliebt
Die malerische Region an Donau, Schambach und Altmühl erfreut sich bei Fahrradfahrern und Wanderern großer Beliebtheit. Zwölf Kilometer nördlich von Altmannstein liegt auf einem Felsen Burg Prunn. Dort hatte der Geschichtsschreiber und Hofrat Wiguleus Hund 1566 den „Prunner Codex“ gefunden, die viertälteste vollständige Handschrift des Nibelungenliedes. Nur eine halbe Stunde ist es von dort zu Fuß nach Riedenburg, wo Franz Hummel heute mit der Komponistin Susan Oswell lebt und nach Erfolgen wie „Zarathustra“, „Der Richter und sein Henker“ und „Beuys“ an seinem nächsten Opernprojekt über Anton Bruckner arbeitet.
Von Mendorf bis Schloss Sandersdorf benötigt man 45 Fußminuten. In Sandersdorf wurde 1998 mit der Aufführung von Mayrs Opera buffa „Che originali!“ ein wichtiges Projekt der regionalen Mayr-Renaissance verwirklicht, dem viele weitere folgten. Der Wittelsbacher Ausgleichsfond erwarb 2008 das Schloss aus dem Vermögen von Margarete Baronin de Bassus. Der Witwe und Erbin von Baron Thomas de Bassus, dessen Vorfahren Mayr gefördert hatten, verdankt die ganze Region entscheidende Anstöße und Initiativen zur Mayr-Renaissance.
Sandersdorf wurde 1976 dem Markt Altmannstein eingemeindet wie vier Jahre früher Mendorf. In jedem Ort befinden sich Haltepunkte der Buslinie RBA 9221, welche die 1903 in Betrieb genommene und 1972 eingestellte Lokalbahnlinie zwischen Ingolstadt und Riedenburg ersetzt. Der den Donauradweg mit dem Altmühl-Radweg verbindende Schambachtalbahn-Radweg liegt auf der ehemaligen Gleisstraße.
Dank einer Kontaktachse zwischen Sandersdorf und Poschiavo/Puschlav im schweizerischen Graubünden entfaltete sich eine der glänzendsten europäischen Komponistenkarrieren zwischen Haydn und Donizetti. Jacob Lossius hatte Schloss Sandersdorf um 1650 erworben. Der Jura-Professor an der Universität Ingolstadt stammte aus Poschiavo und war mit dem Adelsgeschlecht der Bassus verschwägert. Lossius vermachte das Schloss seinem Ziehsohn Johann Domenikus Bassus. Dieser kaufte die heute in Riedenburg eingemeindeten Anwesen Harlanden, Tachenstein unterhalb der bereits im 16. Jahrhundert verfallenen Burgruine und in Eggersberg den um 1600 ausgeführten und heute als Hotel geführten Schlossbau. Ein Teil des Eggersberger Hofmark-Museums ist der Familie de Bassus gewidmet. Die Kirche St. Leodegar in Mendorf, wo Simon Mayr seine ersten musikalischen Eindrücke empfing, ist deren Grabstätte der in Altmannstein und Riedenburg wirkenden Linie.
Mit der Region verwurzelt
Das Schweizer Adelsgeschlecht hat in der Geschichte der Region zahlreiche Spuren hinterlassen. Thomaso de Bassus, einer von Johann Domenikus‘ Nachfahren, wurde mit Adam Weishaupt und Adolph Freiherr von Knigge zu den führenden Mitgliedern des 1776 in Ingolstadt gegründeten und bereits 1784 im Kurfürstentum Bayern verbotenen Illuminaten-Ordens. Thomaso fiel deshalb beim Haus Wittelsbach, unter dem er hohe administrative Ämter bekleidete, in Ungnade. Nach seiner Rückkehr von einem vierjährigen Aufenthalt in Poschiavo, der einer Verbannung und Flucht gleichkam, förderte er Simon Mayr, der Schüler des Klosters Weltenburg war und am Ingolstädter Jesuiten-Kolleg studierte. Thomaso musste 1788 sein Hofamt als Kämmerer aufgeben und nahm Mayr mit sich nach Poschiavo. Von dort nutzte der Musiker aus Mendorf ein Kontaktnetz, das ihm ein Studium bei Ferdinando Bertoni, dem Kapellmeister von San Marco in Venedig, und von dort einen steilen Karriereaufschwung bis zum international gefragten Komponisten ermöglichte.
Als Gründer und Leiter des Konservatoriums in Bergamo wurde er der Lehrer Donizettis. Zu Mayrs ehrenvoller Beisetzung 1845 kam auch Verdi, welcher Mayr auch in späteren Jahren eine Schlüsselstellung für das italienische Melodramma des 19. Jahrhunderts zusprach. Später hat Mayr wohl kaum bereut, dass es zu keiner Festanstellung in der Residenzstadt München kam, um die er sich mit dem Oratorium „Sisara“ und einem Huldigungsschreiben 1795 bemüht hatte. Besonders glanzvolle Höhepunkte der Karriere Mayrs waren die Oper „Ginevra di Scozia“ zur Eröffnung des Theaters in Triest 1801 und ein für die Krönung Napoleons im Mailänder Dom 1805 bestimmtes „Te Deum“.
Riesiges Gesamtwerk
Bis vor wenigen Jahren zeigten sich die letzten Nachkommen und Angehörigen des Hauses de Bassus intensiv für Mayr zuständig. Ausgehend von Sandersorf und Mendorf verdichteten sich seit den vom Bayerischen Rundfunk mitgestalteten Jubiläumsfeiern zu Mayrs 200. Geburtstag 1963 die Energien zur 1992 in Ingolstadt gegründeten Internationalen Simon Mayr-Gesellschaft. Aus Mayrs riesigem Gesamtwerk mit siebzig Opern, Oratorien, Instrumental- und Vokalwerken folgen regelmäßig neue Einspielungen beim Label Naxos. Seit über zwanzig Jahren setzt sich der Dirigent Franz Hauk, Gründer der Orgeltage Ingolstadt, für Werke Mayrs ein. Neben Produktionen wie „Medea in Corinto“ in München, Sankt Gallen sowie beim Festival von Martina Franca und der Einspielung von zwei Klavierkonzerten mit dem in Ingolstadt residierenden Georgischen Kammerorchester gibt es jedes Jahr mindestens eine neue Mayr-Entdeckung.
An der Donau entlang nach Osten geht es in Franz Hummels Heimat-Musiktheater Regensburg. Seine Kammeroper „An der schönen blauen Donau“ handelt allerdings nicht von einer anheimelnd beschworenen Idylle, sondern von der wegen ihrer Sympathie für die Kommunisten aus dem Staatsdienst entlassenen und 1928 in einer Nervenheilanstalt verstorbenen Regensburger Lehrerin Elly Maldaque. Am Theater Regensburg wurde die für ein Ensembletheater verdichtete Aufführungsserie von Hummels „Ludwig“-Musical durch die Pandemie unterbrochen. Mit den jüngst erschienenen „33 Hercher-Variationen“ gibt sich der Philosoph und Komponist Hummel heiter und gelassen. Der von Hummel und Mayr inspirierte Ausflugstag lässt sich gut von Ingolstadt in die beeindruckende Altstadt von Neuburg an der Donau und Regensburg (von Altmannstein jeweils ca. 50 Autokilometer) ausdehnen. Eine Alternative zum Schambachtalbahn-Radweg ist der Schambachtal-Wanderweg von Riedenburg nach Altmannstein durch eine Landschaft mit vielfältiger Vegetation.
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