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WDR: Musik der Zeit

Klänge, die Geschichte schrieben

Die WDR-Reihe „Musik der Zeit“ besteht seit siebzig Jahren.

vonEcki Ramón Weber,

„Nach dem Krieg, nach Ende der dunklen Nazizeit waren alle Leute so hungrig, das Neue in sich aufzunehmen.“ Das sagte in der Rückschau der Komponist György Ligeti über die Musikszene der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Ein maßgebliches Forum dafür war von Anfang an die Konzertreihe „Musik der Zeit“ des WDR. Deren Premiere fand in Köln vor siebzig Jahren gleich mit prominenter Leitung statt: Am 8. Oktober 1951 stand als Gast Igor Strawinsky im Großen Sendesaal am Wallrafplatz am Pult. Er dirigierte jedoch nicht etwa aktuelle Werke aus seiner Feder, sondern einige seiner Erfolge aus den zwanziger Jahren: „Bläsersinfonien“, „Œdipus Rex“ und „Apollon musagète“. Eine bewusste Anknüpfung an die Vorkriegsmoderne. Und dies mit gutem Grund. Schließlich gab es bei den Deutschen ein enormes Nachholbedürfnis. Die Nazis hatten mit ihrer menschenverachtenden völkischen Ideologie seit 1933 das blühende Kulturleben der Weimarer Republik erstickt und in ihrem Einflussbereich die Verbindungslinien zur internationalen Avantgarde gekappt.

Nach Jahren der Radiopropaganda in der NS-Diktatur kam in der jungen Bundesrepublik, befördert von den Besatzungsmächten, den föderalistisch organisierten Rundfunkanstalten die Aufgabe zu, Foren für Pluralität und demokratisches Kritikbewusstsein zu schaffen. Dazu gehörte auch, Experimentellem in der Musik Raum zu bieten, Eigenwilligem, auch Unbequemem und Provokantem. Kontroversen und neue Debatten waren durchaus erwünscht. Eine Mission aus jenen Gründungstagen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, an die sich heute manche Verantwortlichen erinnern sollten, wenn ständig auf Quote, Populäres oder Weichgespültes geschielt wird.

Die WDR-Konzertreihe „Musik der Zeit“ hat mit zahlreichen Erst- und über 750 Uraufführungen Musikgeschichte geschrieben. Von Luciano Berio bis Bernd Alois Zimmermann, von Pierre Boulez bis Hans Zender gaben sich die großen Namen die Klinke in die Hand. 1956, bei der Uraufführung von Karlheinz Stockhausens „Gesang der Jünglinge“, mittlerweile ein Klassiker, fand erstmals ein Konzert ohne Musiker statt: Die elektronischen Klänge kamen von Lautsprechertürmen. Als Stockhausens großangelegte Raumkomposition „Gruppen für 3 Orchester“ 1958 bei „Musik der Zeit“ uraufgeführt wurde, reiste die internationale Szene an. Luigi Nono war während seiner gesamten Karriere, von seinen frühen politischen Stücken bis zu seinem visionären Spätwerk immer wieder zu Gast bei „Musik der Zeit“. In den siebziger Jahren hielt Fluxus mit Charlotte Moorman und Nam June Paik Einzug. Neue Tendenzen aus den USA gab es mit Werken von Morton Feldman und John Cage. Iannis Xenakis und Peter Eötvös kamen immer wieder gerne. Im neuen Jahrtausend bespielte Manos Tsangaris auch mal das gesamte Funkhaus.

Dass Köln seit der Nachkriegszeit den Ruf als Labor des Neuen in der Kunst genoss, hat zweifellos nicht nur mit den Museen und bedeutenden Galerien der Stadt zu tun, sondern auch mit „Musik der Zeit.“ Das Geburtstagsprogramm am 2.10., das auch im WDR-Hörfunk übertragen wird, verquickt das gute alte Konzertformat mit diversen Interventionen, darunter Installationen, Hörspielstücke, Film, Happening, Ständchen. Was zeigt, dass sich die Reihe auch mit siebzig Jahren noch nah am Puls der Zeit bewegt.

concerti-Tipp:

Sa. 2.10.2021, 20:04 Uhr, WDR3 Hörfunk
Pierre-Laurent Aimard (Klavier), WDR Sinfonieorchester , WDR Rundfunkchor,  Enno Poppe (Leitung)
Programm: Igor Strawinsky: „Variations (Aldous Huxley in memoriam)“ für Orchester, Iannis Xenakis: „Syrmos“ für 18 Streicher, Iaus Ospald: „Se da contra las piedras la libertad“ für Klavier und Bläser (UA), Justè Janulytè: „Recordare“ für Chor und Orchester (UA) sowie sowie Musik u.a. von Carola Bauckholt, Mauricio Kagel, John Cage, Peter Ablinger, Bernd Alois Zimmermann, Sarah Nemtsov und Simon Steen-Andersen

Anschließend ab 0:00 Uhr, Lange Radionacht mit Höhepunkten aus sieben Jahrzehnten „Musik der Zeit“

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