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Zum 150. Geburtstag von Maurice Ravel

Ein selbsternannter Anarchist

Heute wäre der französische Komponist Maurice Ravel 150 Jahre alt geworden.

vonChristian Schmidt,

Wer im Ravel-Museum von Montfort l’Aumary lustwandelt, kann sich dieser Erkenntnis kaum entziehen: Zeitlebens blieb Maurice Ravel ein Träumer. Der nur 1,58 Meter große, ewige Junggeselle hatte sich in seiner Villa „Le Belvédère“ westlich von Paris 1922 eine üppigst ornamentierte eigene Zauberwelt mit Spitztürmchen und Märchenschlossattitüde erschaffen. Dorthin entfloh der Komponist, nachdem seine geliebte baskische Mutter gestorben war und auch sein Bruder Edouard ihn nicht mehr beherbergen konnte, weil der überraschend geheiratet hatte. Der Plüsch dieser Villa, die, voller Nippes, wie eine gewaltige Spielzeugschachtel wirkt, spricht vielleicht das Allermeiste über das Wesen des Meisters, der in all seiner Hypersensibilität eher zurückgezogen inmitten seiner selbst entworfenen Tapeten lebte.

Aller Anfang ist schwer

Am 7. März 1875 in den Pyrenäen geboren, siedelte er noch als Kleinkind nach Paris über und trat dort mit nur vierzehn Jahren als Klavierschüler ins Konservatorium ein. Doch seine Karriere blieb von Rückschlägen geprägt: Seine pianistischen Fähigkeiten reichten nicht, so dass er dreimal hintereinander an der Meisterprüfung scheiterte und als Kompositionsschüler an die hehre Bildungsstätte unter die Fittiche von Gabriel Fauré zurückkehrte. Um den begehrten Rom-Preis bewarb er sich nicht weniger als fünf Mal erfolglos, weil er sich zum brodelnden Fin de siècle den strengen Schreibregeln nicht unterwarf, was für einen öffentlichen Skandal sorgte.

Das schnell gekränkte Genie entwickelte für die Verarbeitung dieser künstlerischen Misserfolge eine ganz eigene Strategie: die Herausbildung einer desto selbstbewussteren Persönlichkeit, die er in den Pariser Salons mit plissierten Hemden und Monokel auslebte. Den bekennenden Dandy-Zyniker machten sie durchaus trotzdem berühmt, denn seine mehr erneuernde statt zerstörerische Musik traf den Nerv der fortschrittsgläubigen Zeit. Dabei blieb er als Vertreter der „L’Art pour l’art“-Auffassung immer der Betrachtung alles Schönen verpflichtet.

Der „Schweizer Uhrmacher unter den Komponisten“

Inspiriert von der Musik der vergangenen Jahrhunderte, vor allem aber angestachelt durch seine baskische, als „spanisch“ empfundene Herkunft, entwickelte er mit einem raffinierten Spiel zwischen Sinnlichkeit und Kalkulation, Tonalität und Atonalität, extrem ausgereizter Harmonik und einprägsam-mechanisiert wirkender Rhythmik – Strawinsky nannte ihn den „Schweizer Uhrmacher unter den Komponisten“ – eine ganz eigene Tonsprache mit schier unglaublichem Farbenreichtum insbesondere in seinen orchestralen Werken. Aus heutiger Sicht ließ sie ihn zum wichtigsten Hauptexegeten des französischen Impressionismus werden, auch wenn er sich selbst einer besonderen Strömung als selbsternannter Anarchist immer verweigerte.

Aufgrund seiner Detailversessenheit und Genauigkeit blieb Maurice Ravels Œuvre mit etwa sechzig Werken vergleichsweise klein. Das hatte zum Lebensende hin – Ravel wurde nur 62 – vor allem aber auch mit einer vielschichtigen, bis heute ungeklärten Nervenerkrankung und mit einem Autounfall zu tun: Schlimm traf ihn die Tragik, seine musikalischen Gedanken nicht mehr niederschreiben zu können, „obwohl ich noch so viel zu sagen habe“. Nicht nur deswegen wäre es wohl an der Zeit, zum 150. Geburtstag das Gesamtwerk neu zu entdecken – jenseits von „Daphnis“, „Rhapsodie espagnole“ und „Boléro“. Auf Letzteren wurde Ravel schon zu Lebzeiten gern reduziert, nur enthalte er laut seinem sarkastischen Schöpfer „keine Musik“.

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