Die Kaiserin der Koloraturen ist tot. Edita Gruberová starb am 18. Oktober 2021 im Alter von nur 74 Jahren in ihrer Wahlheimat Zürich. Ihre Karriere dauerte über 50 Jahre und damit länger als jede andere im Fach des Koloratursoprans, das eigentlich auf einem genuin sportiven, ja jugendlichen Höher, Schneller und Weiter basiert. Eine stupende, makellose Technik und deren Training ohne Unterlass waren die Grundvoraussetzung für ihren einzigartigen Lebensweg. In ihrem Studium am Konservatorium ihrer Geburtsstadt Bratislava von 1961 bis 1968 feilte La Gruberová an den technischen Voraussetzungen des Singens so intensiv, so skrupulös und so diszipliniert, wie es im einstigen Ostblock üblich war. Bereits in Schulaufführungen und in der Kirche war ihre Stimme aufgefallen, die Eltern folgten der Empfehlung, ihr einziges Kind professionell ausbilden zu lassen. Ihr Debüt feierte Edita Gruberová noch im heimischen Bratislava – als Rosina in Rossinis „Der Barbier von Sevilla“.
Doch mit ihrer Mutter schaffte sie alsbald den Sprung über die eiserne Grenze ins nahe Wien, wo eine Weltkarriere mit einer Sensation startete, die aus nur zwei Arien besteht: Sie sang Mozarts Königin der Nacht in „Die Zauberflöte“ an der Wiener Staatsoper. Parallel vervollkommnete sie in Wien ihre Studien, übersiedelte ganz aus der damaligen Tschechoslowakei in die Welthauptstadt der klassischen Musik und trat auch in kleineren Partien auf. Signifikanter Wendepunkt zur internationalen Wahrnehmung war die Premiere von „Ariadne auf Naxos“, in der sie 1976 unter Karl Böhm die Zerbinetta sang – an die Aufführungen erinnern sich ältere Opernfreunde noch heute mit glasigen Augen. Der Strauss-Partie blieb Edita Gruberová über Jahrzehnte treu: Zum 100. und letzten Mal sang sie die kecke Zerbinetta im Jahr 2009, natürlich wiederum in Wien. Eine weitere Paradepartie wurde die Titelrolle in Donizettis „Lucia di Lammermoor“, der die Sängerin ähnlich lange treu blieb und treu bleiben konnte wie der Zerbinetta.
Denn die heute so oft und bei vielen Sängern viel zu früh auftretenden Verschleißerscheinungen der Stimme kannte Gruberová nicht. Sie widerstand den Verlockungen, ihr Stimmfach hinein in dramatischere Gefilde zu wechseln. Wenn sie Verdi sang, dann sehr gern die Violetta, aber keinesfalls die deutlich mehr Mittellage und Durchschlagskraft erfordernden Spinto-Partien. Gleichwohl entwickelte sich die Gruberová stetig weiter – und sie setzte sich für die lange vernachlässigten Preziosen des Belcanto ein. Zumal für die Titelpartien Donizettis wurde sie ideale Interpretin, an der sich fortan jede andere Kollegin zu messen hatte. Die Dramen um die tragischen englischen Königinnen füllte sie mit all den aufs Feinste abgemischten Mitteln ihrer sublimen Kunst.
In den frühen Jahren ihrer Donizettianverwandlung hatte da man da freilich den Eindruck, dieser Gesang sei zu schön, um wahr zu sein, etwa, wenn La Gruberová die Sterbe- und Wahnsinnsszenen der Lucia di Lammermoor oder der Anna Bolena sang. Dabei geht es im Belcanto aber auch gar nicht darum, die Wirklichkeit im naturalistischen Sinne künstlerisch abzubilden. Schließlich werden hier die Tongirlanden so weit geflochten, wie das Lungenvolumen der Sängerin und die Stütze des Zwerchfells es hergeben. Auf eben diese kostbaren Zutaten des Belcanto verstand sich die Sängerin wie keine andere: Es machte das Publikum schier atemlos, wenn sie ganz schlanke Tonfäden wie aus dem Pianissimo-Nichts heraus ausgesponnen hat, um sie mithilfe des „Messa di voce“-Effekts behutsam zur vollen Stimme anschwellen zu lassen. Auszierungen der im Grunde oftmals einfachen melodischen Floskeln stehen teilweise bereits in den Noten, gewisse Freiheitsgrade erlauben es den echten Expertinnen des Fachs, ihre Kunstfertigkeit der Gestaltung wie die Drahtseilakte eines sängerischen Salto mortale zu riskieren. Wenn eine Edita Gruberová ihre Koloraturkaskaden vom Stapel ließ, lehrt sie uns das Staunen und das gebannte Lauschen, bei dem uns der eigene Mund offen stehen blieb.
Eine Anhängerin des Regietheaters wurde die Gruberová auch in ihren reifen Jahren nicht. Aber die Begegnung mit einem absoluten Meister der Regie ließ sie dann doch noch einmal über sich herauswachsen. Diese Phase des behutsamen Experiments begann an der Bayerischen Staatsoper, die zu einem Ort ihrer größten Triumphe wurde. In München versöhnte sich die szenischen Wagnissen eher abgeneigte Kaiserin der Koloraturen dann doch noch mit dem Regietheater der klugen und musikalisch feinfühligen Art. Dank des einfühlsamen Christof Loy erfand sie sich im Herbst ihrer Karriere noch einmal neu. Noch immer wirkte die Gruberová nun Belcantofäden wie aus feinster Sopranseide, in die sie die Fiorituren einwebte wie hauchzartes Blattgold. Doch jetzt wagte sie nicht weniger als die Emanzipation des Hässlichen im Reiche des Schöngesangs. So erneuerte sie, ja rehabilitierte sie auch den Belcanto selbst, der eben doch viel mehr sein kann als zirzensisches vokales Virtuosentum. Extremtöne bog sie mitunter aus der Piano-Zartheit ins Schrill-Scharfe um. Hässlichkeit wurde zum begrenzt, aber bewusst eingesetzten Ausdrucksmittel. Die Diva transzendierte den Schöngesang dialektisch zum Wahrheitsgesang. Da wurde die Oper der Romantik dann auf einmal doch zum Musiktheater – und der Belcanto zur vollendeten Kunstform der wahren Schönheit. Danke, Edita!