Johannes Brahms hat noch wenig Erfahrung mit Orchesterwerken und gleichzeitig ein schweres Erbe: Wie kann man nach Beethoven (1770–1827) noch Sinfonien schreiben? Insbesondere die neunte mit dem großen Chorfinale (1824) scheint die Messlatte unerreichbar hoch zu legen. Noch als fast 40-Jähriger schreibt Brahms an den Dirigenten Hermann Levi: „Ich werde nie eine Sinfonie komponieren. Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen [Beethoven] hinter sich marschieren hört.“
Der erste Entwurf zu einer Sinfonie ist damals schon über fünfzehn Jahre alt. 1854 möchte der Komponist eine heute verschollene Sonate für zwei Klaviere instrumentieren. Nach zähem Ringen und zahlreichen Änderungen wird aus diesem Projekt jedoch sein erstes Klavierkonzert.
Formal gesehen ist an diesem Werk zunächst nichts Ungewöhnliches. Die klassische Dreisätzigkeit gliedert sich in einen Kopfsatz, der etwas so viel Spielzeit einnimmt wie die beiden anderen zusammen. Der Kopfsatz steht in Sonatenform mit zwei kontrastierenden Themen, das Adagio ist ein weitgehend schlichter, liedartiger Gesang, und als Finale folgt ein Rondo. Das ist alles auch bei Beethoven und Mozart üblich.
Gewaltige Dimension: Brahms‘ Klavierkonzert Nr.1
Doch was für einen Koloss hat Brahms da hinterlassen? Neben der gewaltigen Dimension mit einer Spielzeit von fast 50 Minuten gilt es für den Pianisten, hohe technische Anforderungen zu bewältigen, ohne dabei als Solist glänzen zu können, denn Brahms verzichtet auf jede oberflächliche Virtuosität. Außerdem gibt es lange Passagen, in denen entweder das Klavier das Orchester begleitet statt andersherum, oder das Orchester sogar allein spielt.
Dazu kommt eine gewissen Schwere im Kopfsatz, die nicht nur von dem eher bremsenden als vorwärtsdrängenden 6/4-Takt herrührt, sondern auch von der musikalischen Wucht, ja fast Sperrigkeit des Hauptthemas, das auch den größten Teil der Durchführung bestimmt. Nur das Seitenthema schlägt andere Töne an.
Das Adagio steht mit seiner Innigkeit in deutlichem Kontrast dazu. Nur zwei Episoden unterbrechen den ruhigen Fluss. Ursprünglich trägt es die lateinische Überschrift „Benedictus qui venit in nomine Domine“ (Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn), dem Mittelteil aus dem Sanctus der lateinischen Messe. Manche sehen hierin eine Hommage an und eine Art von Gebet für den vor kurzem verstorbenen Robert Schumann (1810–1856).
Das ungarisch angehauchte Rondo mit seiner kräftigen Synkope zu Beginn bringt neben zwei lyrischen Zwischenspielen auch zwei Fugatoteile. Sie zeigen das bei Brahms schon früh ausgeprägte Interesse für barocke Formen, ein zu seiner Zeit durchaus ungewöhnliches Hobby.
Langer Weg zur Anerkennung
Insgesamt ist es nicht verwunderlich, dass das Konzert zunächst nicht gut ankommt. Brahms’ Freund, der Geiger Joseph Joachim, berichtet 1858 zwar positiv von der Uraufführung durch das Hoforchester Hannover, hauptsächlich von hannoverschem Adel. Die Breitenrezeption beginnt aber erst mit der Aufführung in Leipzig fünf Tage später, wo das Konzert vollkommen durchfällt.
Brahms’ Stil mit seinen komplexen Strukturen, der möglichst ausgeglichenen Behandlung aller Instrumente und damit die teilweise Unterordnung des Soloparts, demgegenüber die Herausstellung solistischer Holzbläser braucht seine Zeit, um Anerkennung zu finden. Inzwischen zählt auch dieses erste Klavierkonzert zu den Klassikern seiner Gattung.
Die wichtigsten Fakten zu Brahms erstem Klavierkonzert:
1. Maestoso
2. Adagio
3. Rondo: Allegro non troppo
Orchesterbesetzung:
Zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte; vier Hörner, zwei Trompeten, Pauken, Streicher
Aufführungsdauer
ca. 50 Minuten
Die Uraufführung fand am 22. Januar 1859 in Hannover mit Brahms als Solisten und unter Leitung von Joseph Joachim statt.
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Referenzeinspielung

Hardy Rittner (Hammerklavier)
L’arte del mondo
Werner Ehrhardt (Leitung)
MDG 2011
Es gibt nicht viele Interpreten, die Brahms auf Instrumenten der Entstehungszeit darbieten. Das Klischee einer erdenschweren Musik, die klangliche Wucht benötige, um ihre Wirkung zu entfalten, scheint hier noch tief zu sitzen. Insofern ist die Aufnahme des ersten Klavierkonzerts mit Hardy Rittner, der auf einem Erardklavier von 1854 spielt, zunächst einmal gewöhnungsbedürftig. Das gilt ebenso für die lange Orchestereinleitung durch l’arte del mondo unter Leitung von Werner Ehrhardt. Hat man sich einmal an das neue Klangbild gewöhnt, so entdeckt man jedoch zahlreiche faszinierende, bislang so nicht wahrgenommene Klänge. Das vibratoarme und höchst transparente Spiel des Orchesters gehört ebenso dazu wie die schmetternde Tongebung der Hörner – und natürlich die trockenere, hölzerne Tongebung des Soloinstruments.
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