Von der Fertigstellung im Oktober 1853 bis hin zur propagandistisch instrumentalisierten Uraufführung 1937 durchlief Robert Schumanns letzte Orchesterkomposition einige kritische Hände. Dem weniger virtuosen, sondern vielmehr lyrischen und sich im tieferen Register bewegende Violinkonzert d-Moll fehlte im entscheidenden Anfangsstadium ein Verteidiger – nur einige Monate nach der Komposition tauchte Schumann in den Wirren der Psychiatrie ab. In Claras Augen war das Werk nicht vollendet und so entzog sie es der Öffentlichkeit.
Schumanns Violinkonzert d-Moll: Das Werk eines Wahnsinnigen?
Es war zuvor sein Freund Joseph Joachim, welcher für seine Interpretation des Beethoven Violinkonzerts gefeiert wurde, und von ihm eine ebensolche Komposition erbat: „Möchte doch Beethovens Beispiel Sie anregen, aus Ihrem tiefen Schacht ein Werk ans Licht zu ziehen, wunderbarer Hüter reichster Schätze!“ Innerhalb kürzester Zeit entstand das Violinkonzert in d-Moll, sah sich jedoch äußerlich bedingten Anlaufschwierigkeiten gegenüber. Bei der geplanten Uraufführung am 27. Oktober 1853 in Düsseldorf wurde sein Konzert durch das von Beethoven ersetzt und es kam zum finalen Zerwürfnis zwischen dem Komitee des Musikvereins und ihm.
Im Januar des folgenden Jahres gab es mit Joseph Joachim den zweiten Versuch, diesmal in Hannover. Nachdem die Probe aber unglücklich verlief scheiterte auch diese Aufführung. Sein Selbstmordversuch im Rhein und der anschließende Aufenthalt in der Psychiatrie überschatteten die Situation und bestärkte die Kritiker in ihrer Aussage, dass dies das Werk eines Wahnsinnigen sei. Clara Schumann entschied sich nach dem Tod ihres Mannes gegen die Veröffentlichung und schrieb Joachim, dass auch sie das Violinkonzert nicht als vollendet ansah: „Ich empfand so bitter, wie es thut, findet man einen Makel da, wo man über alles liebt.“
Politische Uraufführung eines veränderten Werkes
Die Rezeption seines Spätwerkes schaute lange durch die Linse seiner psychischen Krankheit und hörte dort den Wahnsinn, wo das zeitgenössische Ohr mittlerweile Innigkeit wahrnimmt. Die damalige Kritik mündete in drastischen Bearbeitungen des Originalwerkes. Als Schumanns Violinkonzert d-Moll mehr als achtzig Jahre später von den Nationalsozialisten aus der Preußischen Staatsbibliothek ausgegraben wurde, nahmen der entsprechende Solist Georg Kulenkampff und der anonym bleibende Paul Hindemith Änderungen vor, da die „Originalstimme […] meines Erachtens unverändert unmöglich“ sei, so der Geiger. Gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern und unter der Leitung von Karl Böhm spielte Kulenkampff am 26. November 1937 die veränderte Solo-Partie am Deutschen Opernhaus Berlin – eine Uraufführung, die als deutscher Ersatz für den frisch vom Spielplan gestrichenen Mendelssohn herhalten sollte. Reden von Goebbels und Ley umrahmten diese propagandistische Inszenierung.
Flexibles Fingerspitzengefühl statt romantischer Erwartung
Erst seit der musikwissenschaftlichen Spätwerkdiskussion des ausgehenden 20. Jahrhunderts erfährt das Violinkonzert eine Renaissance und wurde im Originaltext unter anderem von Gidon Kremer (1979), Christian Tetzlaff (2011) und Carolin Widmann (2016) eingespielt. Letztere sieht die (vergangenen) Schwierigkeiten des Konzerts in der Erwartungshaltung begründet, wie sie im concerti-Interview erzählt: „Wenn man von dieser Musik enttäuscht ist, dann liegt das an der Erwartungshaltung, die einem suggeriert, dass alle romantischen Violinkonzerte brillant, strahlend und virtuos sind. Genau das trifft hier nicht zu.“
Vielmehr sei dies das erste Violinkonzert d-Moll für tiefes Register, wo der zweite Satz nach einer inneren Musik klänge. „Dies musste Schumann nur für sich allein schreiben, um sich in dieser Zeit für ein paar Momente Trost zu geben.“ Ob in dieser Trostsuche das Violinkonzert nun vollendet oder wahnsinnig sei scheint für Mathias Husmann in seinen „99 Präludien fürs Publikum“ eine beantwortbare Frage zu sein: „Wenn Dirigent und Orchester vollendet begleiten (sensibel und flexibel), wenn der Solist der Musik Zeit läßt (vor allem in der Polonaise), sodaß sie sich in ihrer Zeit vollenden kann, dann ist das Konzert wahnsinnig ergreifend.“
Die wichtigsten Fakten zu Schumanns Violinkonzert d-Moll op. posth. WoO 1:
Orchesterbesetzung:
Violine, zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, zwei Hörner, zwei Trompeten, Pauken und Streicher
Sätze:
1. Satz: In kräftigem, nicht zu schnellen Tempo
2. Satz: Langsam
3. Satz: Lebhaft, doch nicht zu schnell
Aufführungsdauer:
Ca. 30 Minuten
Uraufführung:
Die Uraufführung fand am 26. November 1937 in Berlin mit Georg Kulenkampff als Solist statt.
Referenzeinspielung:
Schumann: Violinkonzert WoO 1 & Klaviertrio Nr. 3 op. 110
Isabelle Faust (Violine), Freiburger Barockorchester, Pablo Heras-Casado (Leitung)
Harmonia Mundi 2015
Bereits zu Beginn des ersten Satzes hüllt die Homogenität des Freiburger Barockorchesters mit seiner Tendenz zum dunklen Timbre den Zuhörenden ein und gibt dem tieferen Register der einsteigenden Solovioline den nötigen Raum. Isabelle Fausts Spiel findet akustisch nicht in ferner Hervorhebung statt, sondern webt sich in kammermusikalischer Manier in den Gesamtklang ein. Im zweiten Satz wird die raue und zugleich zaghafte Seite von Schumanns Romantik genossen, aus der sich die lebhafte Polonaise des dritten Satzes in zuversichtlicher aber nicht überbordender Weise entwickelt. Das stringent sensible Zusammenspiel vom Barockorchester und Faust eröffnet in dieser Aufnahme die Tiefgründigkeit des Violinkonzerts.
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