Die Berührungsängste mit dem Werk Bruckners mögen dahingehend begründet sein, als die Kompositionen des tiefgläubigen Katholiken von überbordender harmonischer, kontrapunktischer wie auch handwerklicher Intelligenz sind. Das erste Thema seiner fünften Sinfonie indes mischte sich nachgerade subversiv in das Standardrepertoire der westlichen Zivilisation, und zwar als Hymne für Fußballfans und Ballermann-Touristen, wenn auch dafür nur jene ersten sieben Töne herhalten, die vor fünfzehn Jahren vom Gitarristen Jack White für seinen Song „Seven Nation Army“ verwendet wurden.
Bruckner für alle
Ob diese eigentümliche Folklorisierung des sinfonischen Themas dem österreichischen Komponisten gerecht wird oder nicht, sei dahingestellt. Doch sie ist ein schöner, fast schon plakativer Beleg dafür, wie sehr Bruckners fünfte Sinfonie auch klassikferne Hörer sofort in ihren Bann zieht – was angesichts der gewaltigen zeitlichen Ausmaße des Werkes (ihre Aufführungsdauer beträgt um die achtzig Minuten) und komplexen Harmonien verwundert.
Die sanglichen Melodien begründen nicht allein die Zugänglichkeit der Sinfonie: die sakralen, bisweilen mystischen Anklänge, die wirkungsmächtigen Extreme hinsichtlich der Dynamik – all das setzte Bruckner in eine für jedermann verständliche musikalische Sprache um, die stellenweise fast schon lautmalerisch ausgestaltet ist.
Missglückte Uraufführung
Allein der Verantwortliche der Uraufführung dieses monumentalen Werks schien die Klangsprache Bruckners weder verstanden noch geschätzt zu haben: Als die Sinfonie 1894 in Graz aus der Taufe gehoben werden sollte, bearbeitete sie der Dirigent Franz Schalk recht grobschlächtig mit umfangreichen Kürzungen sowie Veränderungen und Erweiterungen in der Instrumentierung.
Vielleicht war es also ein Glück, dass der Komponist aus gesundheitlichen Gründen der Uraufführung nicht beiwohnen konnte. Zweifelsohne ein Unglück war jedoch, dass Bruckner sein Werk auch im restlichen Verlauf seines Lebens nie zu Gehör bekam. Immerhin verpasste er aber auch die gut hundert Jahre später einsetzenden Stadiongesänge, die Fußballspiel für Fußballspiel jenes Thema aus dem ersten Satz seiner Sinfonie verhunzen.
Günter Wands Aufstieg als international renommierter Dirigent begann in Köln, wo er über dreißig Jahre lang Erster Kapellmeister der Oper sowie Generalmusikdirektor und Leiter der Gürzenich-Konzerte war. Mit dem dortigen Rundfunk-Sinfonie-Orchester wagte er sich erstmals an Bruckners Fünfte und avancierte unmittelbar nach der umjubelten Aufführung zu einem der wichtigsten Bruckner-Interpreten. Seine Aufnahme der fünften Sinfonie mit den Münchner Philharmonikern aus dem Jahr 1995 nimmt unter den anderen Einspielungen dieses Werkes eine herausragende Bedeutung ein, trafen doch in München die unvergleichliche Bruckner-Expertise des Orchesters mit jener des Dirigenten zusammen.
Mit den Wiener Philharmonikern zelebriert Dirigent Christian Thielemann hochpriesterlichen Bruckner mit einem Hang zur Statik.
Präludium
(UA Graz 1894)
Seine Fünfte hat Bruckner nie gehört. Bei der einzigen Aufführung zu seinen Lebzeiten war er sterbenskrank – so blieb ihm eine von seinen Beratern entstellte Bearbeitung erspart. Vorsorglich hatte er das Manuskript in Sicherheit gebracht – dieses wurde erst 1937 gedruckt.
Bruckners Fünfte – Mittelpunkt seines Werkes – ist unangetastet, Gott sei Dank! Wer weiß – vielleicht gab es in höheren Sphären ein besonderes Interesse an ihr, denn sie ist sehr spirituell: Die geistigen Flammen, von denen sie beseelt ist, legen den Namen Pfingstsymphonie nahe …
Andächtig betreten wir einen sakralen Raum – zwei Themen durchhallen das Gewölbe: Das erste ist rhythmisch – wie ein Gebot, das zweite hymnisch – wie eine Verheißung. Ein Brausen erhebt sich, der Orchesterklang strahlt wie in Erleuchtung … so weit die Einleitung. Einzig die Fünfte hat eine langsame Einleitung. Das Hauptthema des folgenden Allegro – das „Ich“-Thema – wird in der Durchführung mit dem Gebot-Thema der Einleitung in Konflikt geraten, aber das Thema der Verheißung wird es wieder erheben … Im Seitenthema klingen Einsamkeit und Sehnsucht an, die Schlussgruppe atmet Kraft und Zuversicht.
Zweiter und dritter Satz gehören zusammen. Die „wandernde“ Pizzicato-Begleitung im Sechsvierteltakt und dazu die „schlendernde“ Melodie im Viervierteltakt erfordern Geduld: Mal müssen sechs langsame Noten gegen vier Taktschläge und mal vier langsame Noten gegen sechs Schläge gespielt werden. Plötzlich beginnt das wandernde Pizzicato zu tanzen, und der dritte Satz hat begonnen. Sein Charakter wechselt spielerisch zwischen Scherzo und Ländler. Das Trio beginnt mit einem dissonanten Hornakzent, der die folgende heitere Episode infrage stellt.
Der vierte Satz scheint mit derselben langsamen Einleitung wie der erste zu beginnen, nur erschallt kein feierliches Gebot-Thema, sondern – völlig überraschend – ein keckes Klarinettenmotiv. Das Themenzitat des ersten Satzes ruft zur Ordnung auf, aber die Trompete pflichtet der Klarinette bei; das Themenzitat des langsamen Satzes mahnt Ernst an, aber die Flöte kichert wie die Klarinette. Es herrscht eine gespannte, lauernde Atmosphäre – und nun bricht das größte Fugenfinale des 19. Jahrhunderts los: Violoncelli und Kontrabässe machen aus dem Scherzmotiv der Klarinetten ein ungestümes Fugenthema. Das Seitenthema bringt Entspannung. Die Schlussgruppe setzt kraftvoll mit dem vergrößerten Fugenthema ein, da hält plötzlich alles den Atem an – und in völlig unerwarteter Tonart fährt der Pfingstchoral wie der heilige Geist herab – wo waren wir die ganze Zeit über? Wie benommen geht die Exposition zu Ende.
Mit der Durchführung beginnt die eigentliche Doppelfuge über Choral- und Finalthema. Nacheinander geraten die Bauteile der Themen – Kopf, Korpus, Kadenz – in den Fokus, werden vergrößert, verkleinert, umgekehrt, verschoben und in der grandiosen Reprise kombiniert.
In der Coda erfolgt dann die krönende Kombination von Choralthema und Fugenthema mit dem Hauptthema des ersten Satzes. Der Pfingstchoral weitet sich zum Hymnus, dann schließt die Symphonie stolz mit dem „Ich“-Thema wie mit der Signatur des Meisters – gut gemacht, Bruckner! Wie bitte? „Nicht für tausend Gulden möchte ich das noch einmal schreiben.“
(Mathias Husmann)
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