Alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit dominiert Engelbert Humperdincks spätromantische Kinderoper „Hänsel und Gretel“ die Musiktheaterspielpläne. Zwar spielt das Märchen der Brüder Grimm, das Humperdincks Schwester Adelheid Wette als Vorlage für das Libretto diente, im Frühsommer und hat mit dem Christfest nichts zu tun. Aber das Lebkuchenhaus der Hexe, gebaut aus dem Material, das seit Jahrhunderten als Advents- und Weihnachtsgebäck in aller Munde ist, fordert seinen Tribut.
Humperdinck vertonte zunächst nur einige Verse des Stücks für eine häusliche Theateraufführung, erweiterte es später zu einem Singspiel und schließlich zu einer abendfüllenden Oper, die er in Anlehnung an Richard Wagners „Parsifal“ ein „Kinderstubenweihefestspiel“ nannte und die sich seit ihrer Uraufführung am 23. Dezember 1893 am Weimarer Hoftheater unter dem Dirigat von Richard Strauss zu einer der beliebtesten Opern überhaupt entwickelte. In das durchkomponierte Werk hat Humperdinck die drei Volkslieder „Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh?“, „Ein Männlein steht im Walde“ und „Schwesterlein, hüt’ dich fein!“ aufgenommen. Andere Melodien wie „Brüderchen, komm tanz mit mir“ und der „Abendsegen“ sind erst später zu Volksliedern geworden.
„Hänsel und Gretel“ – Eine Märchenoper für Kinder und Erwachsene
Die fünf großen Rollen der Oper werden in der Regel mit erwachsenen Sängern besetzt, da auch die beiden Kinderfiguren anspruchsvolle Partien darstellen. Die von Wette hinzugedichteten Gestalten des Sand- und Taumännchens sind dagegen gut von einem Knabensopran zu bewältigen. Auch ein Kinderchor und ein Ballett aus vierzehn Engeln treten auf in diesem rund zweistündigen Bühnenklassiker, in dem dank seiner hohen musikalischen Qualität in vergangenen Jahrzehnten große Stimmen glänzen. So sah man neben Anny Schlemm, Edda Moser und Christa Ludwig sogar Tenor Peter Schreier auf dem Hexenbesen reiten, während in jüngerer Zeit – 2008 an der Royal Opera – Angelika Kirchschlager und Diana Damrau als Titelpaar zu erleben waren.
Auch reizte das psychoanalytisch wie sozialkritisch ausdeutbare Märchensujet der Oper Regisseure immer wieder zu Inszenierungen für ausschließlich erwachsene Zuschauerinnen und Zuschauer. Gräueltaten wie Kindesmissbrauch und Kannibalismus zeigten etwa David Pountney 1987 an der English National Opera, Nigel Lowery 1997 in Basel oder Giancarlo del Monaco 2005 in Erfurt. Daneben erweisen sich klassische Inszenierungen des Stoffs als Dauerbrenner des Repertoires. So blickt Peter Beauvais’ Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper auf eine rund 50-jährige Aufführungsgeschichte zurück.
Die wichtigsten Fakten zu Humperdincks „Hänsel und Gretel“:
Personen:
Peter, Besenbinder (Bariton)
Gertrud, Peters Weib (Mezzosopran)
Hänsel (Mezzosopran, Alt oder Knabenalt)
Gretel (Sopran oder Knabensopran)
Die Knusperhexe (Mezzosopran, Sopran oder Tenor)
Sandmännchen (Sopran oder Knabensopran)
Taumännchen (Sopran oder Knabensopran)
Kuchenkinder (Kinderchor, Sopran- und Alt-Stimmen)
Orchesterbesetzung:
2 Flöten, Piccolo, 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten in A und B, Bassklarinette, 2 Fagotte
4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba
Pauken, Schlagwerk (große Trommel, Becken, Triangel, Tamburin, Tamtam, Kastagnetten, Xylophon, „Glöckchen“, „Kuckuck-Instrument“, Donnermaschine)
Harfe
Streicher
Spieldauer: ca. 2 Stunden
Uraufführung: Die Uraufführung fand am 23. Dezember 1893 im Weimarer Hoftheater statt.