Es ist das vermutlich bekannteste Motiv der Musikgeschichte: Der Beginn von Beethovens Sinfonie Nr. 5, jenes „Tatatataaa“, das so prägnant daherkommt, dass der britische Sender BBC es während des Zweiten Weltkriegs als das verwendete, was man heute einen „Jingle“ nennt. Doch jenseits des schon fast zu populären Motivs zeigt die hauptsächlich 1807 und 1808 komponierte „Schicksalssinfonie“ jede Menge Besonderheiten. Dabei erscheint sie auf den ersten Blick ganz normal: Vier Sätze in der Reihenfolge schnell, langsam, tänzerisch und schnell. Auch die Satzstrukturen sind konventionell: auf einen Sonatensatz mit zwei kontrastierenden Themen folgt ein Variationssatz, darauf ein Scherzo im schnellen Dreiertakt und schließlich als Finale wieder ein Sonatensatz. Doch damit hört das Übliche auch schon auf.
Bereits die Wahl einer Molltonart lässt aufhorchen. Von seinen mehr als 40 Sinfonien schreib Mozart ganze zwei in Moll, Beethoven auch nur zwei von immerhin neun. Dabei steht am Beginn seiner fünften Sinfonie weder fest, ob Moll tatsächlich dominiert, noch, ob es c-Moll ist – zu offen sind die ersten Takte harmonisch gestaltet. Gleichzeitig tritt jenes Motiv in Erscheinung, das nicht nur den Kopfsatz fast vollständig dominiert, sondern auch in den Folgesätzen immer wieder in Erscheinung tritt, mal deutlicher, mal im Hintergrund.
Sinfonie Nr. 5: Rhythm is it
Große Musik braucht kein gesangliches oder ausschweifendes Thema. Dennoch spricht es für Beethovens Selbstbewusstsein, aus einem Motiv, das eigentlich nur aus einem Rhythmus besteht, eine ganze Sinfonie zu gestalten. So bleibt dieser Rhythmus im Kopfsatz, wie Mathias Husmann in seinen „Präludien fürs Publikum“ schreibt, stets präsent – auch in der im Fortissimo von den Hörnen geblasenen Überleitung ins Seitenthema, und auch während dieses nicht lyrische, aber doch vom Legato geprägte Thema erklingt. Und die Schlussgruppe bemüht sich gar nicht erst um eigenes thematisches Material.
Die Durchführung beginnt, wie die Exposition endete: mit dem Hauptmotiv. Erst als die Hornüberleitung wieder aufgenommen wird, die jetzt deutlich abgewandelt ins Piano führt, ergibt sich eine neue, tastende Stimmung, bis das Motiv sie abrupt beendet und in die Reprise führt. Mitten im Getümmel meldet sich die Oboe zu Wort, der Beethoven eine kleine, ruhige Kadenz geschrieben hat, so als wolle sie fragen, ob es nicht langsam genug sei mit dem Gepolter. Aber wieder setzt sich das Motiv durch und stürmt in der fast durchführungsartigen Koda dem Satzende entgegen.
Vielschichtiges Andante
Deutlich vielschichtiger zeigt sich das Andante. Die Melodie in den tiefen Streichern wird mehrfach variiert, wobei die verwendeten Notenwerte zunehmend kleiner werden. Dazwischen erscheint jeweils ein marschartiger Teil im Fortissimo, gefolgt von in sich gekehrten Takten im absoluten Legato. Hier geschieht jenseits von Harmoniewechseln zunächst „nichts“, bis das Motiv des Kopfsatzes im Untergrund dazutritt. Am Ende des Satzes bleibt die Frage offen, wer musikalisch „gewonnen“ hat: Variationsthema, Marsch, vorsichtig Tastendes oder gar das altbekannte „Tatatataa“.
Gespenstisches Pianissimo
Auch im traditionell tänzerisch-heiteren Scherzo ist die Lage unklar. Die Legatolinie im Pianissimo verbreitet nur wenig freundliche Stimmung. Und wieder sind es die Hörner, die dazwischen gehen und das Motiv des Kopfsatzes geradezu herausschmettern, als wollte es sagen: Hier bin ich wieder, ich bin laut, und ich kann auch im Dreiertakt. Das Trio präsentiert sich als stürmisches Fugato. Die Reprise des Scherzos zeigt dann aber eine erstaunliche Wandlung. Aus Legato wird Pizzicato oder kurze Noten, beides teils sogar mit Vorschlag. Das Motiv des Kopfsatzes erscheint, aber nun wie alles andere in fast gespenstischem Pianissimo. Erst aus dem jenseits der Paukennoten liegenden Ton C entwickelt sich nach und nach die direkte Überleitung in den vierten Satz – eine in dieser Zeit höchst ungewöhnliche Art der Verbindung.
Marschartig stürmt hier die Musik voran, im Klang ergänzt um Piccoloflöte, Kontrafagott und drei Posaunen – fast als sei es Militärmusik. Die Überleitung zwischen Haupt- und Seitenthema erhält eigenes thematisches Material, während das eigentliche Seitenthema fast nur aus Triolen besteht, die – natürlich – an das Motiv des Kopfsatzes erinnern. Während Triolen und Marsch in der Durchführung miteinander streiten, greift Beethoven unvermittelt die Überleitung aus dem Scherzo wieder auf, samt Tempo- und Taktwechsel – ein weiterer höchst ungewöhnlicher Schritt. Nach der Reprise steigert sich in der Coda das Tempo ins Presto, wo das C-Dur des Satzes geradezu zementiert wird, bis endlich der wirkliche Schlussakkord erreicht ist.
Beethoven und die Französische Revolution
Pocht nun so „das Schicksal an die Pforte“, wie es Beethovens damaliger Sekretär Anton Schindler von diesem erfahren haben will? In der Forschung ist diese Aussage wie viele andere Schindlers umstritten. Manche halten sie für glaubwürdig, andere für frei erfunden. Und selbst wenn „das Schicksal“ hier verkörpert sein sollte, ging es Beethoven sicher nicht um sein eigenes, sondern eher um eine allgemeine Aussage, vermutlich auch angesichts der politischen Lage im Nachklang der Französischen Revolution. Die liegt zwar bereits fast 20 Jahre zurück und hat nach anfangs großen Erfolgen eine Spur der Gewalt hinter sich hergezogen. Doch Beethoven war weiterhin Anhänger ihrer Ideale.
Es mag Zufall sein, dass sich im Finale einer scheinbar belanglosen Tonfolge im Seitensatz, die später aber in den Blechbläsern zu einer Art Fanfare gesteigert wird, mühelos die Worte „La Liberté“ unterlegen lassen. Aber es finden sich weitere Bezüge: Das Hauptthema des Finales zeigt eine Verwandtschaft zu einem Freiheitschor des französischen Komponisten François-Joseph Gossec, der 1792 und damit in deutlicher Nähe zur Revolution entstand. Ähnliche Themen finden sich bei Jean-Baptiste Lacombe und Martin Joseph Adrien, die damals modische, heute vollkommen vergessenen Revolutionsmusiken komponierten. Das Vorbild für das Motiv des Kopfsatzes wiederum könnte aus der „Hymne an die Vernunft“ stammen, die Claude-Joseph Rouget, genannt de l’Isle komponierte, der Schöpfer der „Marseillaise“.
Deutung als Schicksalssinfonie
Bis heute kann man erkennen, dass die deutsche Beethoven-Rezeption die Deutung als Schicksalssinfonie – ob nun der persönlichen Beethovens oder allgemeiner – in den Vordergrund stellt. Dazu gehört auch der Gedanke, sie führe, analog zum Beginn in c-Moll und dem Schluss in C-Dur, durch die Nacht zum Licht, lateinisch „per aspera ad astra“.
In Frankreich hatte dagegen immer der Bezug zur Revolution mehr Bedeutung. Und es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass, nachdem die Sinfonie in einem viel zu langen Konzert im Dezember 1808 in einem ungeheizten Saal mehr schlecht als recht zum ersten Mal über die Bühne gegangen war, die zweite Besetzung Wiens durch die Franzosen eine weitere Aufführung vorerst verhinderte.
Die wichtigsten Fakten zu Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67, Schicksalssinfonie:
Satzbezeichnungen:
- Satz: Allegro con brio
- Satz: Andante con moto
- Satz: Allegro
- Satz: Allegro
Orchesterbesetzung: Piccoloflöte (nur im 4. Satz), 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott (nur im 4. Satz), 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen (nur im 4. Satz), Pauken, Streicher
Spieldauer: etwa 35 Minuten
Die Uraufführung fand in einer von Beethoven veranstalteten „Akademie“ am 22. Dezember 1808 statt.
Referenzeinspielung
Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67, Schicksalssinfonie
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Paavo Järvi (Leitung)
RCA
Es gab bereits zahllose Aufnahmen der fünften Sinfonie, als Ende der 1980er-Jahre neue Impulse die Beethoven-Rezeption erreichten. Christopher Hogwood mit der Academy of Ancient Music und Sir Roger Norrington mit den London Mozart Players waren um 1987 die ersten, die die Sinfonie mit Instrumenten der Entstehungszeit einspielten. 1994 folgte Sir John Eliot Gardiner mit dem eigens gegründeten Orchestre Révolutionnaire et Romantique. Nikolaus Harnoncourt wählte 1990 das Chamber Orchester of Europe mit kleinerer Streicherbesetzung sowie Naturtrompeten und Barockpauken. David Zinman verwendete 1997 als erster die Noten der neuen Urtext -Ausgabe. Eine gewisse schöpferische Pause trat ein, bevor Paavo Järvi ab 2006 seinen Beethoven-Zyklus mit der Kammerphilharmonie Bremen veröffentlichte. Ähnlich wie Harnoncourts Aufnahme mit Naturtrompeten, Barockpauken und kleiner Streicherbesetzung zeigt auch diese Aufnahme der Schicksalssinfonie so etwas wie einen zeitgemäßen Beethoven: Aufrührend, ja zum Teil (im positiven Sinn) verstörend, dabei stets aufs beste durchhörbar und mit unglaublichem Schwung. Paavo Järvi hat „seine“ Kammerphilharmonie damit auf einen der vordersten Plätze der deutschen Orchester gehoben.