Der Legende nach schrieb Ludwig van Beethoven seine berühmte sechste Sinfonie, genannt Pastorale, am Ufer des Schreiberbach zwischen den Wiener Vororten Nußdorf und Grinzing, während er dort das bunte Treiben der Wachteln, Nachtigallen und Kuckucke beobachtete. Dass Beethoven die Rufe eben jener Vogelarten in der Komposition verewigte, mag den eindeutigen Beweis für die Erzählung liefern, an deren Wahrheitsgehalt jedoch wenig dran sein dürfte. Belegt ist hingegen, dass der Komponist ausgedehnte Spaziergänge in die Natur unternahm, unter deren Eindrücken er seine sechste Sinfonie schrieb.
Obwohl Beethoven die inhaltliche Aufladung von Kompositionen im Sinne heutiger Programmmusik stets kritisierte, überschrieb er die ersten Skizzen der Pastorale mit „Sinfonia caracteristica“ und später mit „Sinfonia pastorella“, das fertige Werk schließlich mit „Pastoral-Sinfonie oder Erinnerungen an das Landleben“. Entstanden ist die Pastorale in den Jahren 1807 bis 1808, nahezu zeitgleich mit der fünften Sinfonie des Komponisten. Die unterschiedlichen Charakteristika beider Sinfonien werden heute häufig als komplementär bezeichnet, Beethoven selbst äußerte sich dazu nicht.
Ein Gesamtkunstwerk
In den insgesamt fünf Sätzen der sechsten Sinfonie zeichnet Beethoven musikalisch verschiedene Eindrücke eines städtisch geprägten Menschen in ländlicher Umgebung nach. Alle fünf Sätze fügen sich im Gesamtzusammenhang zu einem einheitlichen Bild, von dem Beethoven selbst behauptete, es habe „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“. Den ersten Satz überschrieb er mit „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“, der zweite Satz stellt eine „Szene am Bach“ dar. Die ineinander übergehenden Sätze drei, vier und fünf vertonen „Lustiges Zusammensein der Landleute“, „Gewitter und Sturm“ sowie „Hirtengesänge – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“.
Dennoch wollte Beethoven die Bedeutung seiner Musik lieber dem Zuhörer selbst überlassen. „Wer auch je nur eine Idee vom Landleben erhalte, kann sich ohne viele Überschriften selbst denken, was der Autor will“, heißt es in einer seiner hinterlassenen Schriften. Ähnlich beschreibt es aus Mathias Husmann in seinen „Präludien fürs Publikum“, der das Werk trotz des programmatischen Titels als absolute Musik identifiziert, „in der keine Note einer außermusikalischen Rechtfertigung bedarf“.
Auf Nummer sicher!
Doch fast scheint es so, als hätte Beethoven bei der Komposition sicher gehen wollen, dass auch wirklich jeder Konzertgänger den Naturbezug seiner sechsten Sinfonie heraushört, ahmte er in der Coda des zweiten Satzes besagte Vogellaute nach, imitierte die Geräusche eines Wanderers, das Laufen eines Bachs und vertonte mithilfe von Kontrabässen, Celli, Piccoloflöte und Violinen im vierten Satz Donnergrollen, Sturm und Blitze. Beethoven ahnte wohl nicht, dass er mit seiner sechsten Sinfonie den Grundstein für eine neue musikalische Formsprache legte, die in der Programmmusik des 19. Jahrhunderts mündete und schließlich den Ausgangspunkt der Symphonischen Dichtung darstellte. Ob es ihm gefallen hätte, bleibt – gerade mit dem Wissen um seine kritische Haltung gegenüber musikalischer Darstellungen außermusikalischer Gegenstände – fraglich.
Die Uraufführung der sechsten Sinfonie fand in einem vierstündigen Konzert am 22. Dezember 1808 unter der Leitung des Komponisten im Theater an der Wien statt, zusammen mit der fünften Sinfonie Beethovens sowie seinem vierten Klavierkonzert.
Die wichtigsten Fakten zu Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, Pastorale:
Sätze:
1. Satz: Allegro ma non troppo (Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande)
2. Satz: Andante molto mosso (Szene am Bach)
3. Satz: Allegro (Lustiges Zusammensein der Landleute)
4. Satz: Allegro (Gewitter und Sturm)
5. Satz: Allegretto (Hirtengesänge – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm)
Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 1 Piccoloflöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Pauken, Streicher
Spieldauer: 40 Minuten
Uraufführung: 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien
Referenzeinspielung
Beethoven: Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, Pastorale
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Mariss Jansons (Leitung)
Als hätte Mariss Jansons die Musikern des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks vor dieser Live-Einspielung nochmals auf Beethovens Worte „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ eingeschworen, klingt die Pastorale hier ausgewogener und ausdrucksstärker denn je. Jansons Dirigat fängt die Charakteristika der Sätze von sanfter Heiterkeit bis hin zum stürmisch-energischen Tonfall ein, der Orchesterklang bleibt dabei stets transparent und ausgeglichen. Ein moderner und lebendiger Beethoven!