Als Mozart Mitte zwanzig war, durchlebte er ein heftiges Wechselbad der Gefühle. Um kurz auszuholen: Aus dem vielgereisten Wunderkind ist ein in künstlerischer Hinsicht frühreifes Genie geworden, das in Salzburg als Hoforganist solide in Lohn und Brot stand. Für einen Künstler ist das zwar schön, denn finanzielle Sicherheit war schon damals ein seltenes Gut in diesen Kreisen. Doch für ein Genie freilich ist das viel zu wenig. Und dann auch noch dieser Fürsterzbischof von Colloredo! Der gilt heute als großer Bremsklotz von Mozarts Schaffensdrang – was eine Flunkerei der Geschichtsschreibung ist. Unter Colloredo, der im Übrigen als fortschrittlich denkender, geistreicher Reformer ein Segen für die damalige Kirche war, konnte Mozart etwa das Klavier-Doppelkonzert K 365, die „Krönungsmesse“ oder das Singspiel „Zaide“ verwirklichen.
Andererseits kostete es reichlich Überredungskunst, dass Mozart für einen prestigeträchtigen Opernauftrag mal für einige Wochen nach München reisen durfte. Doch scheint hier Colloredo mit seiner Skepsis Weitsicht bewiesen zu haben, denn Mozart stürzte sich kopfüber in den Faschingstrubel der Stadt und ließ Monat um Monat verstreichen, ehe er widerwillig dem vehementen Ruf des Fürsterzbischofs folgte. Ebenso weitsichtig, wenn auch demütigend war die Order, dass sich der zurückgekehrte Komponist nunmehr allmorgendlich im Vorzimmer Colloredos für etwaige Aufträge bereitzuhalten habe. So kam es im Sommer 1781 endgültig zum Bruch mit dem Salzburger Hof und zum legendären „tritt im arsch“ durch den Abgesandten des Bischofs Graf von Arco, wie Mozart in mehreren seiner Briefe festhielt.
Bar jedweder finanziellen Absicherung komponierte der nunmehr unabhängige Musiker in Wien buchstäblich um sein Leben, verlangte für zwölf Unterrichtsstunden recht hoch angesetzte 27 Gulden und nahm als Pianist zahlreiche Engagements an, um sich irgendwie über Wasser zu halten. Doch schon einen Monat nach der Demission aus Salzburg hielt er am 30. Juli einen Text des Schauspielers und Bühnenautors Johann Gottlieb Stephanie in den Händen. Das Sujet des Stücks greift die in Wien vorherrschende Mode der sogenannten „Türkischen Musik“ auf (also einer Musik, von der die Wiener glaubten, sie sei türkisch). Mit den Eigentümlichkeiten dieser Musikrichtung seit seiner Arbeit an „Zaide“ durchaus vertraut, begann Mozart gleich tags darauf mit der Komposition. Der Auftrag für dieses Singspiel kam schließlich von höchster Stelle: Kaiser Joseph II. wollte ein in Volkssprache dargebotenes Gegenstück zur italienisch geprägten Hofoper in Gestalt von Nationalsingspielen etablieren.
Mozart griff beherzt in das Libretto ein und lieferte fristgerecht das für die Saison 1782/83 angesetzte Werk. Was beileibe keine Selbstverständlichkeit war: Mit diesem einen Auftrag ließen sich die Lebenshaltungskosten nicht bestreiten, also arbeitete Mozart parallel an mehreren weiteren Aufträgen. Dennoch frönte er seiner Freigeistigkeit ohne Abstriche, komponierte ohne große Rücksicht auf die vermeintlich niederen Bedürfnisse des Theaterbetriebs. Im Sommer 1782 musste Mozart während der Probenphase feststellen, dass er Gegner hatte, die vor Intrigen nicht zurückschreckten. Ihn holten (sich als unwahr herausstellende) Gerüchte um sein unheilvolles Ende am Salzburger Hof ein. Die Uraufführung am 16. Juli wurde denn auch erheblich gestört, sorgte am Ende aber für Begeisterungsstürme. Rasch nahmen sich zahlreiche Theater aus dem In- und Ausland dieser Oper an.
Keine drei Wochen nach der Uraufführung ehelichte Mozart seine Constanze Weber, womit ein glücklicher und kinderreicher Liebesbund Gottes Segen fand und die mühselige, jahrelange Loslösung vom Übervater Leopold, der sich strikt gegen diese Heirat aussprach, zur Vollendung kam. Die Namensgleichheit Constanzes mit der jungen Spanierin aus Mozarts Singspiel ist indes reiner Zufall, auch wenn man zu gerne Parallelen zwischen beiden Frauen ziehen möchte. Im Gegensatz zu Mozarts Gattin befindet sich die Bühnen-Konstanze nach einem Seeräuberüberfall in Gefangenschaft des Bassa Selim (übrigens als Sprechrolle konzipiert).
In ihm hat Konstanze Glück im Unglück, denn der gebürtige Spanier, einst Christ und nun Moslem, ermöglicht ihr und ihrer Zofe ein menschenwürdiges, erträgliches Leben. Da aber die Freiheit schöner ist als die schönste Gefangenschaft (wie Mozart in den letzten Jahren erfahren hat), steht im Mittelpunkt des Singspiels „Die Entführung aus dem Serail“ die Befreiung der beiden Damen durch Konstanzes Geliebten, den spanischen Edelmann Belmonte, und dessen Diener Pedrillo. Die Sache hätte auch ohne große Reibereien glücken können, wäre da nicht der durchtriebene und bösartige Osmin, Bassa Selims Diener und der große Gegenspieler des Retter-Duos. Außerdem muss im dritten Akt Bassa Selim feststellen, dass Pedrillo der Sohn seines Todfeindes ist. Doch am Ende des Singspiels obsiegt die Macht der Gnade, und Bassa Selim schenkt den Liebenden die Freiheit.
Die wichtigsten Fakten zu Mozarts Entführung aus dem Serail
Libretto: Johann Gottlieb Stephanie
Uraufführung: 16. Juli 1782, Burgtheater Wien
Spieldauer: ca. 2:30 Stunden
Personen
- Bassa Selim (Sprechrolle)
- Konstanze, Geliebte des Belmonte (Sopran)
- Blonde, englische Zofe der Konstanze (Sopran)
- Belmonte, spanischer Edelmann (Tenor)
- Pedrillo, Bedienter des Belmonte und Aufseher über die Gärten des Bassa (Tenor)
- Osmin, Aufseher über das Landhaus des Bassa (Bass / Buffo-Bass)
- Klaas, ein Schiffer (Sprechrolle)
- Ein Stummer
- Wache (Sprechrolle)
- Janitscharenchor (Chor)
- Wachen, Gefolge (Statisten)