Noch während Peter Tschaikowsky in den Sommermonaten 1877 an seiner 4. Sinfonie arbeitete, legte er sich bereits auf Nadeschda von Meck als Widmungsträgerin des Werks fest. Die Unternehmerwitwe tat sich als äußerst kunstsinnige und fachkundige Mäzenin hervor, wobei sie den russischen Komponisten am meisten begünstigte.
Dabei stand Tschaikowsky mitnichten im Sinn, von Mecks finanzielle Gunst mit dieser Widmung zu fördern oder zumindest zu pflegen. Jahrelang führten die beiden eine leidenschaftliche wie innige und intime Brieffreundschaft, ohne dass die beiden jemals miteinander von Angesicht zu Angesicht sprachen. „Ehe ich meinen Wunsch äußere, möchte ich eine Frage an Sie richten“, heißt es in ihrer Antwort, nachdem sie von der Widmung erfahren hatte: „Halten Sie mich für Ihren Freund? Falls Sie diese Frage mit einem Ja beantworten können, so würde ich mich sehr freuen, wenn die Widmung der Sinfonie ohne Namensnennung einfach lauten könnte: „Meinem Freunde gewidmet.““
Das Kreuz mit der Liebe
In der Tat wäre vielleicht ohne die damals noch sehr junge Freundschaft der beiden die vierte Sinfonie, die neben den Nummern fünf und sechs zu den bedeutendsten Werken Tschaikowskys zählt, erst gar nicht entstanden, denn der Komponist hatte mit seelischer Not zu kämpfen: Da gab es einerseits die unerfüllte, weil verbotene Liebe mit dem Geiger Josef Kotek. Andererseits hatte der Komponist mit einer falschen oder zumindest merkwürdigen Liebe zu kämpfen: Eine ehemalige Kommilitonin, die Tschaikowsky völlig unbekannt war, stellte diesem nach und drängte ihn zur Heirat. Warum der Komponist sie ehelichte, ist bis heute nicht geklärt, wobei unter Musikwissenschaftlern die weitläufige Annahme vorherrscht, dass er seine Homosexualität damit zu kaschieren hoffte.
So ist die Komposition – von Weitem betrachtet eine klassische Sinfonie, von Nahem betrachtet jedoch ein Seelendrama und Bekenntniswerk, wie Mathias Husmann es in seinen „Präludien fürs Publikum“ beschreibt – eine sehr persönliche, eng mit Tschaikowskys Lebensrealität verbundene Sinfonie. Die Widmung kommt also nicht von ungefähr. Der Komponist kam übrigens dem Wunsch seiner Förderin nicht ganz nach und notierte in seine Partitur „a mon meilleur ami“ – „meinem besten Freunde gewidmet“.
Die wichtigsten Fakten zu Peter Tschaikowskys Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36
Satzbezeichnungen
1. Satz: Andante sostenuto – Moderato con anima – Moderato assai, quasi Andante – Allegro vivo
2. Satz: Andantino in modo di canzona
3. Satz: Scherzo: Pizzicato ostinato – Allegro
4. Satz: Finale: Allegro con fuoco
Orchesterbesetzung: Piccoloflöte, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Große Trommel und Streichinstrumente
Spieldauer: ca. 42 Minuten
Die Uraufführung am 10. Februar 1878 dirigierte Nikolai Rubinstein
Referenzeinspielung
Tschaikowsky: Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36
Leningrader Philharmoniker
Jewgeni Mrawinski (Leitung)
Deutsche Grammophon
Fast ein halbes Jahrhundert lang stand Jewgeni Mrawinski am Pult der Leningrader Philharmoniker (heute: Sankt Petersburger Philharmoniker), seinerzeit eines der bedeutendsten Orchester weltweit. Gerade die Tschaikowsky-Einspielungen bildeten während des Kalten Kriegs ein erfrischendes, werkgetreues Gegengewicht zu den mit romantischem Bombast überfrachteten Interpretationen des Westens – was sicherlich auch an der kulturellen wie intellektuellen Nähe zum Komponisten lag, der ebenfalls in Sankt Petersburg lebte und wirkte.