„Wagner hat über nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlösung. Irgendwer will bei ihm immer erlöst sein … dies ist sein Problem.“ So resümiert der Philosoph Friedrich Nietzsche – zunächst noch Bewunderer, schließlich Gegner des Komponisten – in seinem Buch „Der Fall Wagner“ polemisch, was für ihn Wagners Opernschaffen ausmacht. Und in der Tat: Die Erlösung spielt in Wagners Werken eine tragende Rolle. So auch in seinem Frühwerk, dem „Fliegenden Holländer“.
Eine stürmische Schiffsreise galt Wagner als Urinitiation zur Holländer-Komposition
In Riga lernte Wagner durch Heinrich Heines „Memoiren des Herren von Schnabelowski“ die Sage vom „Fliegenden Holländer“ kennen und rühmte sie bereits damals schon aufgrund der Erlösungs-Idee als „echt dramatisch“. Seit 1837 war er in Riga als Musikdirektor am Theater angestellt, verlor diese Stelle jedoch zwei Jahre später und begab sich schließlich auf die Flucht vor seinen Gläubigern, die er mal wieder nicht bezahlen konnte.
Während der mehrwöchigen Schiffsreise nach England erlebte Wagner eindringlich die Stimmung auf hoher See und lernte den einen oder anderen Matrosenbrauch und -gesang kennen. „Hussassahe! Jollohohe! Ho! He! Jo! Ha!“. Das Schiff geriet schließlich am Skagerrak zwischen Dänemark und Norwegen in einen schweren Sturm – ein nachhaltig beeindruckendes Erlebnis auf Grund dessen Wagner ab dem Jahr 1840 das Libretto und schließlich seine Komposition zum „Fliegenden Holländer“ verfasste.
„Der fliegende Holländer“: Romantische Oper in drei Aufzügen
Als musikalische Grundlage des „Holländers“ gilt noch immer die sogenannte Nummernoper, da Arien, Duette, Chornummern und Rezitative deutlich erkennbar sind. Allerdings ist „Der fliegende Holländer“ Wagners letzte Oper, die das traditionelle Format bedient: Mit der Komposition des „Lohengrin“ beschreitet er einige Jahre später erstmals eigene, gänzlich neue kompositorische Wege. Das durchkomponierte Musikdrama war geboren.
Die Ouvertüre zur Holländer-Oper nimmt in aller Kürze das gesamte Drama vorweg, wie Wagner selbst 1851 an einen Freund schrieb: „In diesem Stück legte ich unbewusst den thematischen Keim zu der ganzen Musik der Oper nieder: Es war das verdichtete Bild des ganzen Dramas, wie es vor meiner Seele stand.“ Die Ballade Sentas steht im musikalischen Mittelpunkt des Gesamtgeschehens, beinhaltet quasi alle Leitthemen und spiegelt den Charakter der Oper treffend wider – schroff, düster und dramatisch. Für damalige Zeiten revolutionär war, dass Wagner durch Sentas Ballade als Kernstück der Oper eine musikalische Einheit herstellt, die für die klassische Nummernoper so neu war und deutlich zu seinem durchkomponierten Musikdrama führt.
Erlösung durch Liebe?
Man fragt sich doch wirklich, weshalb Senta, die gegen Bares von Vater Daland ungefragt an den Holländer verscherbelt wird, damit dieser endlich von seinem Fluch befreit wird, sich bis zuletzt berufen fühlt, den Unbekannten zu erlösen. Ist es die alte Sage, die sie von Kindertagen an kennt und deren Schicksal sie so sehr rührt? Oder warum ist sie so darauf fixiert, den „armen Mann“ sogar dadurch zu erlösen, dass sie sich letztlich in den Tod stürzt? Ist es Liebe oder Aufopferung? Klar ist, dass sich Sentas Treue erst in ihrem Tod erfüllt. Der Holländer benötigt diese Treue, um seine Sterblichkeit zurück zu erlangen.
Von Liebe ist dagegen nie die Rede, so auch der Holländer weiß: „Die düstre Glut, die hier ich fühle brennen, sollt’ ich Unseliger sie Liebe nennen? Ach nein! Die Sehnsucht ist es nach dem Heil: würd’ es durch solchen Engel mir zuteil!“ Somit ist Senta für ihn nur Mittel zum Zweck. Ihr kann man ohne weiteres einen Erlösungswahn unterstellen, denn wie lässt sich sonst erklären, dass sie von der Idee besessen ist, einen Wildfremden durch ihr Treue von seinem Schicksal zu erlösen? Am Schluss gehen die beiden ein wechselseitiges Bündnis ein, das für beide Seiten passt: Die Märtyerin Senta erfüllt ihre Erlösungsphantasien im Tod für den verfluchten Fremden, der Holländer kauft sich die Erlösung einer fremden Frau. Um Liebe geht es im „Fliegenden Holländer“ wohl kaum.
Die wichtigsten Fakten zu Richard Wagners „Der fliegende Holländer“:
Besetzung: Piccoloflöte, zwei Flöten, zwei Oboen/davon ein Englischhorn, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, Ophicleide, Pauken, Harfe, Streichorchester. Auf der Bühne: drei Piccoloflöten, sechs Hörner, ein Tamtam, eine Windmaschine
Spieldauer: ca. 2 ¼ Stunden
Uraufführung: Die Uraufführung fand am 2. Januar 1843 mit mäßigem Erfolg am Königlichen Hoftheater in Dresden statt. Der Durchbruch der Oper gelang erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Referenzeinspielung
Wagner: Der fliegende Holländer
Matti Salminen, Ricarda Merbeth, Robert Dean Smith, Silvia Hablowetz, Steve Davislim u.a.
Rundfunkchor Berlin, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Marek Janowski (Leitung)
Pentatone
Die konzertante Aufführung der Oper „Der fliegende Holländer“ im Jahr 2010 stellt den Beginn des großen Wagner-Zyklusses dar, deren Konzerte dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Marek Janowski größte Anerkennung einbrachte. Hervorragende Sänger, ein dynamisch aufspielendes Orchester und ein präziser Chor machen diese Aufnahme zum reinen Hörvergnügen, die ohne die Bühne gänzlich unverfälscht wirkt.