„Es handelt sich um Inzest und Ehebruch – man ist begeistert.“ Mit diesem Bonmot resümierte Loriot eines der schönsten und zugleich verstörendsten Liebesduette der Operngeschichte („Loriot erzählt Richard Wagners Ring des Nibelungen“, Deutsche Grammophon, 2 CDs). Doch bis zu dieser Sauerei am Ende des 1. Akts der Oper „Die Walküre“ vergeht erst einmal eine Stunde, in der die Handlung aus dem „Rheingold“ fortgesetzt wird, wenn auch die göttliche Szenerie vorerst der weltlichen weichen muss: Siegmund sucht als Sohn Wotans seine verlorene Zwillingsschwester Sieglinde und kommt an der Wohnstätte Hundings an – nicht ahnend, dass dieser Sieglinde einst geraubt und geehelicht hat und sie nun bei sich gefangen hält.
Die Geschwister begegnen einander, ohne sich zu erkennen. Allein Hunding erkennt in dem jungen Mann Sieglindes Bruder und fordert diesen zum Zweikampf am nächsten Morgen auf. Nachdem sich Hunding zur Ruhe gelegt hat, erzählt Sieglinde Siegmund von einem Schwert im Stamm einer Esche, das von einem mysteriösen Fremden vor langer Zeit dort hineingestoßen war. Die Waffe sei demjenigen bestimmt, der es herauszuziehen vermag, was bislang niemandem gelang. Siegmund indes zieht es mühelos aus dem Stamm, woraufhin sich beide Geschwister erkennen und in besagte inzestuöse Ekstase verfallen.
Normen und Werte verpflichten selbst die Götter
Der zweite Aufzug versetzt den Hörer wieder zurück in die göttlichen Sphären, wo Wotan noch immer daran arbeitet, sich des Rings zu bemächtigen, der noch immer im Besitz Fafners ist. Da dem Göttervater per Vertrag die Hände gebunden sind, Fafner zu töten, setzt er seine Hoffnungen auf Siegmund. Ihm soll Wotans Lieblingstochter, die Walküre Brünnhilde, im bevorstehenden Kampf beistehen. Jedoch sind auch Götter an Normen und Werte gebunden, zu denen auch Treue in der Ehe gehört, die das Geschwisterpaar ganz offenkundig gebrochen hat. Wotans wird daher von seiner Ehefrau Fricka umgestimmt und gibt die Planänderung zugunsten Hundings an Brünnhilde weiter.
Die jedoch widersetzt sich dem Göttervater, weshalb er selbst eingreifen muss und Siegmunds Schwert mit seinem Speer zerschlägt. Brünnhilde wird – als Strafe für ihren Ungehorsam – ihres Walkürenstatus’ beraubt, zum Menschen degradiert und in einen „wehrlosen Schlaf“ versetzt, umringt von einer Feuerwand. Demjenigen, der diese durchschreitet, soll sie fortan als Weib dienen. Natürlich zählt Wotan dabei insgeheim auf jenen Helden, den Sieglinde demnächst gebären wird: Der Inzest aus dem ersten Akt nämlich zeigt seine Wirkung.
Kurzweilige Länge
Trotz einer Aufführungsdauer von knapp vier Stunden ist die zweite Oper der Ring-Tetralogie bemerkenswert kurzweilig: Regisseure können sich an dem hoch dramatischen und atmosphärisch dichten Werk regelrecht austoben, während die Musik gleichzeitig anspruchsvoll und eingängig ist – auch abseits des „Walküren-Ritts“, der zu den meist zitierten Film- und Fernsehmusiken gehört.
Die wichtigsten Fakten zu Richard Wagners „Walküre“
Am 26. Juni 1870 wurde „Die Walküre“ im Königlichen Hof- und Nationaltheater uraufgeführt, womit in der Spielzeit 1869/70 immerhin die erste Hälfte der Tetralogie dort auf die Bühne kam. Erst mit der Eröffnung des Bayreuther Festspielhauses 1876 erklangen dann auch erstmals „Siegfried“ und „Götterdämmerung“.
Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 3 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 4 Posaunen, Pauken, Xylorimba, Glockenspiel, Rührtrommel, Becken, Triangel, Tamtam, Harfe, Klavier/Celesta, Streicher
Spieldauer: ca. 3 ¾ Stunden
Referenzeinspielung
Wagner: „Die Walküre“
Prague Philharmonic, Hans Swarowsky (Leitung)
Mit: Gerald McKee, Herold Kraus, Rolf Polke, Rolf Kühne, Takao Okamura, Ursula Boese, Nadezda Kniplova und Bella Jasper
Wagners „Ring“ komplett auf Schallplatte zu bannen war seinerzeit schwieriger als gedacht. Während der Weimarer Republik versuchte man sich an einem etwas umfangreicheren Auszug der Tetralogie, kam aber auch dann auf 122 Schellackseiten. So entstanden die ersten vollständigen Studioeinspielungen erst in den fünfziger und sechziger Jahren, etwa unter dem Dirigenten Hans Swarowsky in Nürnberg. Als wäre das Vorhaben zu dieser Zeit nicht ohnehin schon ambitioniert genug, verließen viele Musiker der Tschechischen Philharmonie während der Aufnahmetermine im August 1968 fluchtartig das Studio, da aufgrund des Einmarschs der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei die Grenzen zu schließen drohten. Doch die ortsansässigen Nürnberger Orchestermusiker halfen aus, und so konnte doch noch der gesamte „Ring“ eingespielt werden.