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Wagner: Siegfried – Der Ring des Nibelungen

Und wieder ist mehr Sitzfleisch gefragt. Beim dritten Teil von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“, benannt nach seiner Hauptfigur Siegfried, ist die Spieldauer bei rund vier Stunden angelangt.

vonNicolas Furchert,

Siegfried ist aus dem Inzest von Sieglinde und Siegmund hervorgegangen, hat aber trotzdem keinen genetischen Defekt davongetragen, sondern eher (zu) viel, Kraft beziehungsweise – um dem Libretto enger zu folgen – keine Furcht. Er wächst beim Zwerg Mime auf, der die Reste des Schwertes Nothung besitzt, ohne zu wissen, was es damit auf sich hat. Siegfried ist zwar noch nicht erwachsen, schmiedet aber das Schwert neu, was Mime nie gelungen war.

Beide machen sich im zweiten Aufzug auf zur Höhle von Fafner. Der einstige Riese hat sich in einen Drachen verwandelt und bewacht das Rheingold, das Wotan ihm zwei Opern zuvor überlassen musste, weil Wotans Götterburg Walhall etwas teurer wurde als geplant. Im Schatz befinden sich auch der Zauberring und der Tarnhelm.

Furchtlos dank Drachenblut

Siegfried wäre freilich kein echter Held, wenn er es nicht auch mit Drachen aufnähme. Fafners Schicksal ist besiegelt, und Siegfried kann sich, nachdem er ihn erschlagen hat, gleich noch eines Schlucks „Zaubertrank“ bedienen: Dadurch, dass er Drachenblut trinkt, kann er Mimes eigentliche Absicht durchschauen. Der hatte geplant, Siegfried zu töten, nachdem der den Drachen besiegt hat. Schlecht für Mime, aber irgendwie auch selbst schuld – schließlich hatte Wotan ihn im ersten Aufzug in Gestalt eines Wanderers gewarnt, dass genau dies passieren würde: Der furchtlose Held – Siegfried – werde das Schwert schmieden und ihn – Mime – töten. Was dann auch passiert.

Das Drachenblut hat aber noch eine andere Wirkung: Siegfried versteht die Sprache der Vögel. Der Waldvogel, der ihn bereits in Bezug auf Helm und Ring beraten hatte, leitet ihn nun in Richtung Brünnhilde. Denn was ist ein echter Held ohne eine Frau an seiner Seite?

Wagners merkwürdiger Umgang mit Familienkonstellationen

Heinrich Knote als Siegfried (um 1915)
Heinrich Knote als Siegfried (um 1915)

Wotan begreift derweil, dass ihm die Handlungsfäden entgleiten. Im dritten Aufzug weckt er Erdgöttin Erda, mit der er einst Brünnhilde zeugte. Dummerweise weiß diese auch keine Rat, sodass sich bereits hier die für den letzten Teil der Tetralogie titelgebende „Götterdämmerung“ anbahnt.

Tatsächlich geht es schon beim folgenden Treffen zwischen Wotan und seinem Enkel Siegfried los. Der Jüngere zeigt keinen Respekt und zerschlägt Wotans Speer, der sich daraufhin in seine Götterburg zurückzieht. Siegfried befreit Brünnhilde, die, weil sie sich eine Oper zuvor gegen Wotan stellte, gefangen war und fortan als normal sterbliche Frau zu leben hat.

Wieder zeigt sich Wagners etwas merkwürdiger Umgang mit Familienkonstellationen – oder zumindest der in der nordischen Sagenwelt, von der Wagner sich inspirieren ließ. Siegfried ist Wotans Enkel, Brünnhilde aber Wotans Tochter, wenn auch weder Mutter noch Tante von Siegfried, sondern seine Halbtante, der Polygamie in der Götterwelt sei Dank. Wie auch immer, beide feiern ihre Liebe, die freilich auch nicht lange von Glück geprägt sein wird. Doch dafür heißt es, noch einen langen Abend im Theater zu verbringen. Fortsetzung folgt.

Zwischenapplaus zwecklos

Wie auch im sonstigen „Ring des Nibelungen“ folgt „Siegfried“ dem von Wagner verwendeten Arbeitsablauf. In relativ kurzer Zeit von gut einem Jahr entstand 1851/52 der Text, allerdings überwiegend nach der „Götterdämmerung“ und vor „Walküre“ und „Rheingold“. Wagner sah sich nach jedem Teil genötigt, den Ursprung der Geschichte weiter zu erläutern. Das Libretto ist wie die anderen Teile fast durchgehend im Stabreim gehalten. „Brennender Zauber zückt mir ins Herz; feurige Angst fasst meine Augen: mir schwankt und schwindelt der Sinn!“ heißt es etwa, als Siegfried Brünnhilde befreit. Oder vorm Kampf mit dem Drachen auch mal unfreiwillig komisch: „Eine zierliche Fresse zeigst du mir da, lachende Zähne im Leckermaul!“

Für die Musik brauchte Richard Wagner deutlich länger, im Fall von „Siegfried“ von 1857 bis 1869 und damit zwölf Jahre. Sie arbeitet mit teils neuen, teils wiederkehrenden Leitmotiven und den für Wagner so typischen nahtlosen Übergängen, die jede Regung nach Zwischenbeifall von vornherein unterbinden. Das einzige, was der Oper fehlt, ist das eine Musikstück, das auch im Konzertsaal heimisch wurde. Davon gibt es nach dem Walkürenritt in der „Walküre“ erst wieder in der „Götterdämmerung“ ein Beispiel.

Die wichtigsten Fakten zu Richard Wagners „Siegfried“:

Die Uraufführung fand am 16. August 1876 im Bayreuther Festspielhaus im Rahmen der ersten Gesamtaufführung des „Rings des Nibelungen“ statt. Die Leitung hatte Hans Richter.

Orchesterbesetzung: 3 Flöten, 2 Pikkoloflöten, 3 Oboen, Englisch Horn, 3 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, Kontrafagott, 8 Hörner, 3 Trompeten, Basstrompete, 4 Wagnertuben, 4 Posaunen, Tuba, Pauken, Tam-Tam, Triangel, Becken, 6 Harfen, Streicher

Spieldauer: Ca. 4 Stunden

Referenzeinspielung

Hans Swaroswkys Aufnahme von „Siegfried“ aus dem Jahr 1968 ist geprägt von packendem Zugriff bei gleichzeitig transparentem Klangbild, das die Sänger ebenso gut durchhören lässt wie Wagners raffinierte Klangmischungen. Innerhalt des Sängerensembles ist vor allem Nadezda Kniplova zu erwähnen, auch wenn sie als Brünnhilde nur in der letzten halben Stunde zum Einsatz kommt. Die tschechische Sängerin war ein Jahr zuvor von Herbert von Karajan entdeckt worden und feierte später große internationale Erfolge.

Album Cover für Wagner: „Siegfried“

Wagner: „Siegfried“

Prague Philharmonic, Hans Swarowsky (Leitung)
Mit: Gerald McKee, Herold Kraus, Rolf Polke, Rolf Kühne, Takao Okamura, Ursula Boese, Nadezda Kniplova und Bella Jasper

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Präludium

Buchcover: Präludien für das Publikum von Mathias Husmann(UA Bayreuth 1876) Leises Paukengrollen, ein „sinnendes“ Fagottmotiv, absteigend bis zu „der Erde Nabelnest“ – hier haust der Zwerg Mime. Er werkelt an einem Schwert für seinen Ziehsohn Siegfried: Zwangvolle Plage! Müh ohne Zweck! Der Charaktertenor muss dazu rhythmisch hämmern – eine virtuose Partie! Siegfried erzwingt von Mime Auskunft über seine Eltern. Der gesteht, was er weiß, und zeigt ihm als Beweis die Trümmer des Schwertes Nothung. Da er sie nicht fügen kann, schmiedet Siegfried selbst. Auch der Heldentenor muss zu seinen Schmiedeliedern den Blasebalg bedienen und hämmern! Das neue Schwert an der Seite, erscheint Siegfried mit Mime vor „Neidhöhle“, wo Fafner als Riesenwurm den Nibelungenhort hütet. Er weckt ihn mit seinem Horn und tötet ihn. Der schmetternde „Siegfried-Ruf“ ist der große Augenblick des Solohornisten, Fafners Tod ist die Stunde des Kontrabasstubisten, der mit urweltlichem Grollen Schwerarbeit leistet! Beim Reinigen seines Schwertes kommt Siegfried mit Fafners Blut in Berührung und kann plötzlich die Sprache der Vögel verstehen. Doch bevor der Waldvogel (entzückend frei zwitschernd – erst im Orchester, dann als Sopran) ihm den Weg zum Walkürenfelsen zeigen konnte, nahm Wagner „mit herzlichen Tränen“ für zehn Jahre von Siegfried Abschied, um – Tristan und Isolde und Die Meistersinger von Nürnberg zu schreiben! Das Ring-Projekt war in eine Krise geraten. Die Leitmotive nutzten sich ab, und vielleicht gingen die Stabreime allmählich Wagner selbst auf die Nerven: Seh ich dich stehn, gangeln und gehn, knicken und nicken, mit den Augen zwicken … und so fort. Vor allem aber traten Cosima von Bülow geb. Liszt und Ludwig II. König von Bayern in sein Leben und erlösten ihn – von Kinderlosigkeit und finanziellen Sorgen. Nach diesen „Intermezzi“ kehrte Wagner erfrischt zu Siegfried zurück. Doch sein Stil hatte sich gewandelt. Für das Orchester brachen schwere Zeiten an: Der ohnehin anspruchsvolle Ring-Stil wurde jetzt „tristanesk“ geschärft und „meistersingerlich“ befrachtet. Der Waldvogel rät Siegfried, aus dem Nibelungenhort den Ring und den Tarnhelm an sich zu nehmen, außerdem warnt er ihn vor Mime. Siegfried folgt dem Rat. Als Mime ihn mit einem Trank vergiften will, streckt Siegfried ihn nieder. Wotan versucht, seinem Enkel den Zutritt zum Walkürenfelsen zu verwehren, doch dieser zerschlägt dessen Speer mit seinem Schwert – so wollte Wotan es wohl auch. Dann stürzt sich Siegfried, sein Horn reckend, in das Feuer. Ein fantastisches Zwischenspiel: die brünstige Glut scheint den Eindringling wollüstig zu empfangen, dann führt ein langes, ruhiges Violinenthema hinauf in „selige Öde auf sonniger Höh“. Wotan hatte Brünnhilde in den Schlaf geküsst, Siegfried küsst sie wach … Wer Rheingold und Walküre versäumte, erhält in den Befragungsszenen des Wanderers (alias Wotan) mit Mime, Alberich und Erda Gelegenheit, Wissenslücken zu füllen. Das zieht sich hin – wie wird das erst in der Götterdämmerung werden? (Mathias Husmann)

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